Architekturobjekt 30 von 91
Nominiert für die Shortlist der Jury 2022 - Nachwuchsarbeiten

Architekturobjekte

Nominiert für die Shortlist der Jury 2022 - Nachwuchsarbeiten


Da ist der Wurm drin - Umnutzungsstrategien innerstädtischer Kaufhäuser am Beispiel des Karstadt-Gebäudes an der Frankfurter Zeil

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Universität Kassel, Architektur, Theresa Kullmann

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Universität Kassel, Architektur, Theresa Kullmann

Basisdaten zum Objekt

Lage des Objektes

Deutschland

Objektkategorie

Objektart

Art der Baumaßnahme

Entwurfskonzept

Fertigstellungstermin

09.2021

Gebäudedaten

Tragwerkskonstruktion

Stahlbeton

Anzahl der Vollgeschosse

6- bis 10-geschossig

Beschreibung

Objektbeschreibung

Nach dem Erstarken des Online-Handels in den letzten Jahren und der
Corona-Krise als Katalysator, musste die GALERIA Karstadt Kaufhof GmbH
ab Oktober 2020 56 Warenhäuser ihrer Marke schließen. Aus Gründen der
Ökologie und Ökonomie ist es sinnvoll eine Weiternutzung und Umgestaltung
der Immobilien zu untersuchen.
Diese Masterarbeit untersucht daher das Potential des Immobilientypus
Kaufhaus. Dazu wird zunächst die Typologie untersucht und gemäß ihrer
Charakteristika (städtebauliche Anordnung, Fassade, zeitliche Einordnung)
typisiert. Im Weiteren Teil der Analyse werden Umnutzungsbeispiele von
Kaufhäusern betrachtet und besonders auch ihre funktionale Umnutzung
analysiert.
Der konkrete Entwurf am Standort Karstadt in Frankfurt wird eingeleitet durch
städtebaulichle Entwicklungsüberlegungen im Gebiet der Einkaufsstraße
Zeil. Dazu werden 2 zukünftige Zeithorizonte festgelegt: 2030 als Zeitpunkt
der vorwiegend funktionalen Umnutzung des aktuell von Handel geprägten
Quartiers und 2050 als Zeitpunkt der funktionalen und baulichen Veränderung
des Gebietes.
Der architektonische Entwurf sieht eine Erhaltung der statischen Struktur des
Gebäudes vor, wie auch teilweise der Erschließungs- und Servicestruktur.
Das Bestandsgebäude ist in einem klaren Raster aus Stützen und
Unterzügen aufgebaut, woran sich die substraktiven Eingriffe orientieren. Die
Durchwurmungen „fressen“ sich durch die Rasterfelder, wo sie öffentliche
Freiräume schaffen, von der Treppe, die die Zeil mit dem neu erschlossenen
Dachbereich des Gebäudes verbindet, über Stadtterrassen, die ebenso
Rundweg wie Arbeits- und Freizeitfläche sind, bis hin zu Elementen die
der Belichtung der Innenräume dienen und gleichzeit Raum für Klettersport
schaffen oder die Erschließung des Gebäudes neu ordnen.
Im Inneren entsteht ein Funktionsmix, der eine Vielzahl von Stadtteilnehmern
ansprechen soll. Von den Nutzungen des Supermarktes, der Gastronomie,
der Anbindung an der ÖPNV und Veranstaltungs- und Ausstellungsflächen
in den unteren Geschossen geht es über Bibliotheks- und Public-Livingroom
-Bereiche in die Zonen des gemeinschaftlichen Arbeitens und Produzierens,
die durch einen Kindergarten im obersten Stockwerk komplettiert werden.

Beschreibung der Besonderheiten

ANALYSE
Mit der industriellen Revolution ändern sich Konsummuster und bourgeoise Gesellschaftsschichten fragen eine größere Menge und Diversität von Waren nach. Daraus entstehen zunächst Passgenviertel und Kaufmannsläden und  Ende des 19. Jahrhunderts entwickeln sich Kaufhäuser wie das Bon Marché in Paris oder Selfridges in London. Kennzeichen der neuen Warenhäuser sind das vielfältige Warenangebot, die Festsetzung und Ausschreibung der Preise am Produkt und das Wegfallen der Einlassbeschränkung und des Kaufzwangs. 
Im Zuge dessen entstanden Anforderungen an den Baukörper der Kaufhäuser. Die Gebäude mussten möglich groß sein, um eine hohe Produktvielfalt ausstellen zu können. Zunächst mussten die Schauräume noch natürlich belichtet werden, was die Raumtiefen zwar beschränkte, da aber oftmals Atrien und Oberlichter integriert wurden, konnten dennoch wesentlich tiefere Räume genutzt werden als bei Kaufmannsläden.
Wichtig für den Erfolg der Kaufhäuser war die Inszenierung des Einkaufs und des Konsums, sodass die Gebäude architektonisch und innenarchitektonisch beeindrucken und für sich schon als Erlebnis wahrgenommen werden sollten.
Im Nachkriegsdeutschland entstehen in den deutschen Städten zahlreiche  neue Kaufhäuser, die dank des Wirtschaftswunders Konsum für alle Gesellschaftsschichten brachten. Sie sind dabei Teil des Konzeptes der gegliederten und aufgelockerten Stand und stellten städtebauliche Fixpunkte dar. Die Kaufhäuser sind nicht nur Orte des Einkaufens, sondern auch urbane Treffpunkte und Architekturdenkmäler der Städte. 
Ab den 1920er Jahren wurde die Architektur der Kaufhäuser versachlicht, die innere Organisation und die Gestaltung wurden ökonomisiert. Typischerweise sind die 3-6 -geschossigen Bauten im Innenraum über ein rationales Stützenraster organisiert mit einem dezentralen Versorgungs- und Erschließungskern. Die Haupterschließung für den Kunden erfolgt über übereinander liegende Rolltreppen, die diesen strategisch durch das Gebäude führen. Teilweise ist dieses Element der Erschließung noch mit Oberlichtern versehen. Die Gebäude wurden in Stahlbetonbauweise errichtet, was nicht nur standardisierte und flexible Innenräume erlaubte, sondern auch eine freiere Bespielung der Fassade, da diese nicht mehr tragendes Element war. Sie wurde nun zur Werbefläche des Hauses.
Nach dem zweiten Weltkrieg und der Massenmotorisierung der Nachkriegszeit musste die Fassadengestaltung aufgrund der veränderten Wahrnehmungsszenarien simpliziert werden, woraus die neue Formensprache der Kaufhäuser wächst, die ein weitgehendes geschlossenes Fassadenbild wiedergibt. Dadurch können im Innenraum zusätzliche Ausstellungsflächen geschaffen werden und die Ketten etablieren wiedererkennbare Fassaden, wie beispielsweise die Gitterwerkfassade der Horten-Kaufhäuser. Im Erdgeschoss wird die Fassade im Regelfall zum Passanten hin geöffnet, sodass über Schaufenster die Verkaufsräume auch dem Außenraum präsentiert werden können.
Ab den 80er Jahren geraten die Kaufhäuser allerdings in die Krise, zunächst weil dezentrale Einkaufszentren und Baumärkte neue Arttraktoren werden, dann ab den 2000ern zunehmend aufgrund des Online Handels. Ende 2018 waren nur noch die Kaufhausketten Karstadt und Galeria Kaufhof übrig, als sie als Galeria Karstadt Kaufhof zusammengeführt wurden. 2020 wirkte dann die Corona-Krise als Katalysator und die Signa-Holding ließ 42 Häuser des Unternehmens bis Ende 2020 schließen, darunter neben Kaufhof und Karstadt Filialen auch Karstadt Sports und Schnäppchen Häuser der Kette. 
Kaufhausschließungen sind nicht erst mit der Corona-Krise zum Thema geworden. Die erste Kaufhausfiliale musste bereits 1975 schließen. Ab 1994 sind in Deutschland vor 2020 über 200 Filialen von Warenhäusern geschlossen worden, wobei es um 2009 zu einer ersten Hochphase von Kaufhausschließungen kam, nachdem Hertie und Karstadt Insolvenz anmeldeten. Bisher waren davon vor allem Kleinstädte betroffen, mit den Schließungen 2020 nun aber auch Großstädte und Metropolen. Aber auch außerhalb des Kaufhauskosmos ist es in innerstädtischen Lagen in der näheren Vergangenheit zum Leerstand von Großstrukturen gekommen. Wenn solche Ankerpunkte der Innenstadt schließen folgen darauf oft negative Auswirkungen für das gesamte Umfeld: Trading-Down-prozesse wie weitere Leerstände, Attraktivitäts- und Zentrumsverluste, Frequenzrückgänge oder unerwünschte Folgenutzungen. Daher sind an vielen Standorten Bemühungen eine Umnutzung der Immobilien und Flächen zu finden.
So gibt es bereits Beispiele der Umnutzungen dieses Immobillientypus, die die bestehende Struktur einbeziehen. Dabei ist besonders interessant welche Nutzungen in den Gebäuden trotz oder auch wegen ihrer enormen Gebäudetiefe und Gesamtfläche angesiedelt werden können. 

STÄDTEBAU 
Die Frankfurter Zeil ist eine der frequentiertesten und umsatzstärksten Einkaufsstraßen Deutschlands. Der westliche Teil, also von der Hauptwache bis zur Kurt-Schuhmacher-Straße, ist seit den 1970er Jahren eine Fußgängerzone. Dieser Abschnitt bildet die Kernzone des konsumorientierten Innenstadtbereichs. Im Folgenden wird ein Zukunftsszenario in 3 zeitlichen Phasen untersucht, die Gegenwart (2020), die nahe Zukunft (2030) und die mittelfristige Zukunft (2050).

Im Jahr 2020 dominieren im Betrachtungsgebiet Handel, teilweise in Verknüpfung mit Gastronomie, und Arbeiten. Das Gebiet ist strukturiert über die lineare Zone von Hauptwache zu Konstablerwache, die die Besucherströme bandartig entlang von mehrgeschossigen Einkaufszentren führt. Die abgehenden Nebenstraße erweitern dabei das Gebiet, führen aber ein geringeres Besuchervolumen und weisen nur im Erdgeschoss Einzelhandels- oder Gastronomienutzungen auf, wobei die Straßen Richtung Süden (Dom, Römer, Mainufer) belebter sind, als die nördlich der Zeil, welche auch der Anlieferung der Einzelhandelszentren der Zeil dienen. 

Für das Jahr 2030 wird davon ausgegangen, dass der Einzelhandel als Hauptnutzer innerstädtischen Flächen nicht mehr rentabel ist und sich daher aus den Kernbereichen der Stadt zurückzieht.
Dazu entstehen 2 Frequenzzonen im Betrachtungsgebiet. Frequenzzone 1 verläuft entlang der Zeil, an der verbleibender Einzelhandel konzentriert wird, um diesen zu stärken. Je nach frei werdenden Flächenangebot werden in den Obergeschossen Büronutzungen aus den Seitenstraßen angesiedelt. Außerdem wird das Angebot der Frequenzzone ergänzt durch Sport, Kultur, Bildung und Soziales, sodass eine hybridere Nutzungsmischung entsteht.  Zone 1 weist höhere größere Besucherströme auf, wobei die Verweildauer geringer ist. 
In Frequenzzone 2 sollen vorwiegend Gastronomie und Dienstleistungen in den Erdgeschosszonen angeboten werden, während für die Obergeschosse Wohnnutzungen präferiert sind. Die Bündelung der Nutzungen innerhalb der Zonen stärkt die Attraktivität dieser Funktionen, ebnet gleichzeitig aber auch den Weg von der Bandstadt zum städtischen Gewebe. 

2050 wird das Konzept der Frequenzzonen weitergeführt. Das städtische Gewebe wird gestärkt, da die Passagen durch die gebaute Struktur eine neue Porösität zulassen und Verbindungen erlauben. Außerdem entstehen an der Frequenzzone 2 neue Außenbereiche in Form von Pocket-Parks, dort wo ehemalige Parkhäuser umgebaut wurden. 
Die Kurt-Schuhmacher Straße, als Schnellverbindung zum Main und von der Umgebung zur Zeil wird als grüne Fahrradachse der Stadt gestaltet, wodurch dieser Verkehr stärker mit dem ÖPNV verknüpft ist. Die Zubringerstraßen nördlich der Zeil können nun auch vollständig aktiviert werden, da der Warenverkehr aufgrund des reduzierten Volumens nun auch in den Tagesrandstunden über die Zeil direkt stattfinden kann.

Das Bestandskaufhaus befindet sich auf dem sogenannten Karstadt-Areal an der Frankfurter Zeil, was neben dem Kaufhaus weitere Einzelhandelsflächen und ein Parkhaus umfasst. Das Gebäude weist maximale Gebäudetiefen von 80 Metern (Nord-Süd) bzw. 65 Metern (Ost-West) auf, wobei es aktuell zudem zweiseitig eingebaut ist, sodass nur Fassadenseiten an der Süd- und Ostseite vorhanden sind. Gemäß der städtebaulichen Analyse wird eine Durchwegung durch die Blockstruktur nördlich des Gebäudes geschaffen, wodurch eine Nordfassade freigestellt wird und die maximale (Nord-Süd-)Gebäudetiefe auf 70 Meter verringert wird.   
Die innere Struktur des Gebäudes wird durch ein Raster aus Stützen und Unterzügen dargestellt, das parallel bzw. orthogonal zur Zeil verläuft. Die Achsabstände liegen zwischen  6,9 Meter und 11,6 Meter. 
Insgesamt weist das Gebäude 4 Treppenhäuser auf, jeweils ein Treppenhaus in der Südwest- bzw. Nordwest- Ecke des Gebäudes und 2 Treppenhäuser an der Ostfassade. Außerdem sind Aufzüge im Westen und Nordwesten des Gebäudes vorhanden und verschiedene Rolltreppen führen durch die Verkaufsetagen. 


Die Intervention im ehemaligen Kaufhaus wird durch eine substraktive Struktur dargestellt, die sich wurmähnlich durch die graue Masse der Rasterfelder frisst und so Freiräume schafft, die zum einen für Belichtung der Innenräume sorgt, aber auch weitere Funktionen erfüllt und einen öffentlichen Mehrwert des Gebäudes generiert. So wird durch die Struktur zum Beispiel das Dach des Gebäudes von der Zeil aus zugänglich, Kletterwände im Inneren bespielbar oder Stadtterrassen nutzbar. 
Das Gebäude soll in seiner Nutzung ein öffentlich-gemeinschafftliche Ort sein und so auch die Idee des Kaufhauses, der Zugänglichkeit für jeden, in sich weiterführen.  Im Erdgeschoss sollen Gastronomiebereiche entstehen, die sowohl die Einkaufsstraße, als auch den neuen Pocketpark bedienen. Außerdem gibt es eine Zone für Veranstaltungen, die sich an der Süd-Ost-Ecke positioniert und so eine hohe Präsenz in der Stadt erzeugt. Darüber befindet sich der Public Living Room mit Bibliotheksbereichen. Über das dritte bis fünfte Obergeschoss erstrecken sich Arbeitsplätze und Atelierräume zum gemeinsamen Arbeiten und Produzieren. Außerdem ist im 5. Obergeschoss ein Kindergarten untergebracht, der durch Spielfläche auf dem Dach bereichert wird. 
In den Obergeschossen befinden sich immer Nutzungen mit hohen Tageslichtansprüchen (Arbeitsplätze, Atelierräume, Kindergruppenräume) und Nutzungen mit nierdigeren Tageslichtansprüchen (Besprechungsräume, Lagerräume, Bibliothek, Ruheräume), sodass die Gebäudeflächen optimal ausgenutzt werden können. 


 

Auszeichnungen

-Nominierung Pfeiffer-Preis Uni Kassel

Schlagworte

Umbau, Bauen im Bestand, Kaufhaus, Frankfurt, Frankfurt am Main, Zeil, Umnutzung, Galeria Kaufhof, Co-Working, public Living-Room, Dachnutzung

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