Architekturobjekte
Nominiert für die Shortlist der Jury 2019 - Nachwuchsarbeiten
Das Ankunftshaus für Europa - Ein Lichtblick für Flüchtlinge
Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Karlsruher Institut für Technologie, Architektur, Fachgebiet Baukonstruktion, Magdalena Sattler
Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Karlsruher Institut für Technologie, Architektur, Fachgebiet Baukonstruktion, Magdalena Sattler
Basisdaten zum Objekt
Lage des Objektes
Malta
Objektkategorie
Objektart
Art der Baumaßnahme
Entwurfskonzept
Zeichnungen und Unterlagen
Verwendete Produkte
Gebäudedaten
Tragwerkskonstruktion
Stahl
Anzahl der Vollgeschosse
3- bis 5-geschossig
Raummaße und Flächen
Bruttorauminhalt
13.776 m³
Bruttogrundfläche
4.920 m²
Nutzfläche
2.124 m²
Verkehrsfläche
2.796 m²
Beschreibung
Objektbeschreibung
Die Situation der Flüchtlinge, die versuchen in Schlauchbooten das Mittelmeer von Afrika nach Europa zu überqueren ist allgemein bekannt. Letztlich wird auch Seenotrettungschiffen ihre Arbeit erschwert, da die nächstgelegenen Länder Italien und Malta die Aufnahme neuer Flüchtlinge immer wieder verweigern. Die Rettungsschiffe sind dadurch oftmals wochenlang auf offenem Meer unterwegs auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Ein Ankunftshaus, das nicht einem einzigen Land, sondern der gesamten EU zugeordnet ist, wäre eine Lösung um die Situation zu entschärfen und um den Überblick über die ankommenden Menschen zu behalten. Schiffe können direkt am Gebäude anlegen und die geretteten Bootsflüchtlinge von Bord lassen. Im Ankunftshaus erhalten die Menschen Erstversorgung, ärztliche und psychologische Betreuung und werden auf Ihre Identität geprüft. Für die Flüchtlinge entsteht dort ein sicherer Übergangsort, bevor Sie auf europäischen Boden gebracht werden.
Lage und Gebäudebeschreibung:
Am südlichen Ufer der Insel „Manoel Island“ bei Malta entsteht in der Umgebung eines alten Hospitals namens Lazaretto ein Ankunftshaus für Flüchtlinge mit Aussichts- und Leuchtturm. Das Bestandsgebäude wird saniert und als Flüchtlingsunterkunft umgenutzt. Zwischen den beiden im Winkel stehenden, nach Süden ausgerichteten Gebäudeflügeln ragt ein schmaler, hoher Turm auf, der tagsüber als Aussichtspunkt und des Nachts als Leuchtturm dient, um Schiffen den Weg zu weisen. Um diesen Turm herum liegt eine lange Rampe, die in geschwungener Form die Winkel der Bestandsgebäude aufnimmt. Wo Rampe und Turm in ca. 13 m Höhe aufeinandertreffen, entsteht eine Lücke, die den Turm zweiteilt und absetzt. Ab diesem Punkt verliert die Rampe ihre Steigung und reicht als Brücke weiter in den Süden aufs Meer hinaus, wo sie schließlich an das obere Stockwerk des Ankunftshauses andockt. Dieses Ankunftshaus steht auf einem Stahlverbundwerk im Wasser. Seine nördliche Seite ist ca. 13,50 m von der Uferkante entfernt. Das Ankunftshaus hat 3 Hauptgeschosse, wovon sich das Mittlere in 4 Zwischengeschosse aufteilt. Die Bodenplatten bzw. Decken kragen in allen Geschossen nach außen aus und bilden jeweils Umgänge, die es ermöglichen um das Gebäude herum zu gehen. Weiter im Süden entstehen, durch die dort 15 m auskragenden Deckenscheiben, Zonen,
an denen Rettungsschiffe anlegen können.
Ankunftshaus:
Das Ankunftshaus ist in drei Hauptgeschosse aufgeteilt, die jeweils unterschiedliche Nutzungen aufnehmen und durch einen Erschließungskern mit Aufzug und Treppe verbunden sind:
Das untere Geschoss (EG) liegt 1,50 m über der Wasseroberfläche und hat eine lichte Deckenhöhe von 2,50m. Hier befindet sich das Bürogeschoss, das aus einer offenen Bürolandschaft mit Wandscheiben zur statischen Aussteifung und Unterteilung besteht. In diesem „open work space" können alle Personen arbeiten, die an der Rettung der Flüchtlinge beteiligt sind. So gibt es hier beispielsweise Arbeitsplätze für Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen, Angestellte der Regierung, Ärzte, Psychologen und auch freiwillige Helfer.
Eine Küche mit Sitzgelegenheiten, eine Toilettenanlage und ein geschlossener Besprechungsraum sind in einer Art Box in der Mitte des Raumes untergebracht.
Die Bodenscheibe dieses Geschosses kragt im Süden aus und ist bei Ankunft eine der Ebenen, auf die die Flüchtlinge aussteigen.
Eine Treppe führt im Außenraum in das Ankunftsgeschoss nach oben.
Das mittlere Geschoss beinhaltet die Ankunftszone. Durch die auskragende Bodenplatte ist im Süden genügend Platz, um eine größere Menschengruppe zu sammeln, wie z.B. aussteigende Passagiere. Innen kommen sie in einer geräumigen Halle an, die 10,26 m hoch ist und von Quadratrohrstützen getragen wird. Flexible Möblierung aus Eiche steht auf beiden Seiten der Halle. Dort sind Sitzbänke zu Betten ausziehbar.
An den westlichen und östlichen Seitenwänden des Ankunfstgeschosses sind die bei der Ankunft wichtigsten Räumlichkeiten angegliedert. Dort gibt es eine Krankenstation, getrennte sanitäre Anlagen für Männer und Frauen, Getränke und Snackausgabe, ein Lagerraum für die materielle Erstversorgung (Wechselkleider, Babywindeln, Decken, Handtücher) sowie Besprechungsräume für die Einzelgespräche der Flüchtlinge und deren Betreuer. Über diesen Räumen staffeln sich drei weitere Ebenen, die im Folgenden „Decks" genannt werden. Treppen erschließen die übereinanderliegenden Flure, die in viele kleine Räume führen.
Die Räume auf den „Decks" sind ca 6 - 9 qm groß und bieten gerade genug Platz für eine Tischgruppe, ein großes Bett oder 2 Reihen Sitzbänke. Diese Orte sollen den Flüchtlingen als Rückzugsorte dienen. Dafür ist die Vielfältigkeit und Multifunktionalität der Räumlichkeiten wichtig. Es gibt Räume für 2 -10 Personen. Die Nischen erleichtern den Betreuern der Behörden ihre Arbeit, da sich die Personen selbstständig vorgruppieren und nach Bekanntschaft, Familie oder Nationalität in den kleinen Räumen sammeln.
Diese Nischen sind zwar im Grundriss beengt, haben jedoch alle über Schiebetüren Ausgänge nach draußen, sodass sich der Platzbedarf auch auf die Umgänge erstrecken kann. Eine gewisse Verschmelzung von Innen und außen entsteht hier durch die Decken und Böden, die nach außen laufen, sowie durch die großen Fensterflächen. Rund um die Decks sind an die Umgänge weitere Quadratrohrstützen und Riegel angebracht, die die Umgangskonstruktion, sowie den Sonnenschutz und die Absturzsicherung halten. Diese Stäbe gliedern die „Decks" in der Außenansicht zusätzlich und markieren besondere Nutzungszonen. Ist der Sonnenschutz in diesen Ebenen geschlossen, entstehen schattige Außenräume rund um die Nischen, sodass diese Zonen auch bei hoher Sonneneinstrahlung als Aufenthalsflächen genutzt werden können.
Das oberste Geschoss ist ähnlich ausgebildet wie das Bürogeschoss. Ein 3 m hoher, offener Raum mit einer eingeschobenen Funktionsbox, die eine Küche und die Toilettenanlage beinhaltet, dient als Kommunikationsgeschoss. Sitzgruppen und Tische sind im ganzen Raum verteilt. Die Funktion dieses Geschosses ist flexibel. Es soll vor allem für den Austausch von Flüchtlingen mit Einheimischen, Freunden oder Betreuungspersonen genutzt werden. Für solche Gelegenheiten ist eine Küche eingeplant, um kleine Getränke und Speisen servieren zu können.
Während einer Flüchtlingsankunft kann das gesamte Gebäude jedoch auch abgesperrt werden, sodass es komplett der Ankunft dienen kann. Im oberen Geschoss können die Flüchtlinge dann ihre ersten Mahlzeiten in Europa zu sich nehmen.
Das obere Geschoss ist über eine Brücke mit dem Aussichts- und Leuchtturm verbunden und führt an Land.
Nutzungen im Aussichts- und Leuchtturm:
Sockel: Flüchtlingsmuseum, Fotogalerie
Zwischengeschoss: Untere Aussichtsplattform
Mittleres Geschoss: Aufstieg
Obere Turmgeschosse:
Bar zur Stärkung und Erfrischung, Toiletten
Büro und Befeuerungswartung
Befeuerung
Dach: Obere Aussichtsplattform
Beschreibung der Besonderheiten
Das Ankunftshaus für Europa hat eine einzigartige Gebäudetypologie. Als Hybrid zwischen Aufenthalts-, Ankunfts- und Arbeitsort muss das Gebäude flexible Anforderungen erfüllen und trotzdem strukturiert gestaltet sein. Die Stahlbauweise ermöglicht hierfür die größtmögliche Grundrissflexibilität.
Nutzungsflexibilität ermöglichen auch die verschieden großen, zellenartigen Räume in den sogenannten Decks.
Die Geschosse sind über einen Erschließungskern miteinander verbudnen. Ebenfalls besteht die Möglichkeit sie zusätzlich über ihre Außenflächen durch den Anbau von Treppen zu erschließen. Insgesamt kann das Gebäude von zwei Seiten erschlossen werden: Vom Meer aus durch das Anlagen von Schiffen und von Land aus über die Brücke.
Konstruktion:
Das Fundament des Ankunftshauses besteht aus einem Stahlverbundwerk, das in dieser Ausführung bei Offshore-Windanlagen eingesetzt wird. Eine Beschichtung verhindert die Korrosion durch das Salzwasser.
Die Boden-/Deckenplatten kragen auf allen 4 Seiten aus, weshalb Spannbeton als Konstruktionsmaterial verwendet wurde. Besonders im Süden gibt es in den unteren beiden "Deckenscheiben" größere Auskragungen, da an dieser Stelle die Rettungsschiffe anlegen können.
Stützen aus Stahlhohlprofilen tragen die Geschossdecken.
Material:
Ankunftshaus und Turm kontrastieren sich in ihrer Bauform stark vom Bestand, nähern sich durch das verwendete maltesische Material Kalkstein jedoch wieder an. Der Kalkstein ist traditionelles Hauptbaumaterial in Malta. Im Ankunftshaus sind Fußböden und Deckenuntersichten, sowie die Seiten der auskragenden Deckenscheiben damit bekleidet. Wände und Stützen sind weiß gehalten.
Im Aussichts- und Leuchtturm ist der Sockel, der ein Flüchtlingsmuseum und eine Fotogalerie beinhaltet aus Kalkstein. Der Aufstieg im obere Turmbereich ist thermisch offen und wird durch eine transluzente Glasfasermembran vor direkter Sonneneinstrahlung und Wind geschützt. Bei Nacht scheint aufgrund der Materialwahl Membran der ganze obere Turmbereich zu leuchten.
Auch das Bestandsgebäude Lazaretto besteht aus Kalkstein.
Die Möblierung aus Eichenholz rundet die freundliche Farbgebung von Beige und Weiß in allen drei Gebäuden ab.
Fazit:
Das Ankunftshaus für Europa ist der Versuch eines Kompromisses zwischen der starren Politik unserer Heimatländer und unserer Menschlichkeit. Es schlägt einen Bogen zwischen Vernunft und Emotion und strukturiert die Ersthilfe, um die Situation zumindest für einige Menschen zu verändern und zu erleichtern.
Auszeichnungen
Nominierung für den Förderpreis der Ruth und Erich Rossmann-Stiftung 2019
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