Architekturobjekt 290 von 464

Architekturobjekte

Heinze ArchitekturAWARD 2017: Teilnehmer


Das Verwobene - Tatarische Textilmanufaktur

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: TU Berlin, Architektur, Julia Domańska

Innenraumbild - Das Verwobene - Tatarische Textilmanufaktur

© Ewa Kostecka

Innenraumbild - Das Verwobene - Tatarische Textilmanufaktur

© Ewa Kostecka

Leinfassade im Herbst - Das Verwobene - Tatarische Textilmanufaktur

© Ewa Kostecka

Holzfassade im Sommer - Das Verwobene - Tatarische Textilmanufaktur

© Ewa Kostecka

Tatarische Textilmanufaktur im Sommer - Das Verwobene - Tatarische Textilmanufaktur

© Ewa Kostecka

Tatarische Textilmanufaktur im Winter - Das Verwobene - Tatarische Textilmanufaktur

© Ewa Kostecka

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: TU Berlin, Architektur, Julia Domańska

Basisdaten zum Objekt

Lage des Objektes

Deutschland

Objektkategorie

Objektart

Art der Baumaßnahme

Entwurfskonzept

Projektbeteiligte Firmen und Personen

Architekt/Planer

Bruno Fioretti Marquez Architekten GmbH

Schlesische Str. 26 E

10997 Berlin

Deutschland

Tel. +49 30 616578-0

communications@bfm.berlin

Verwendete Produkte

Isolina

Dämmstoffe

Gebäudedaten

Tragwerkskonstruktion

Holz

Anzahl der Vollgeschosse

1-geschossig

Raummaße und Flächen

Bruttorauminhalt

7.664 m³

 

Bruttogrundfläche

1.394 m²

 

Nutzfläche

1.005 m²

 

Verkehrsfläche

259 m²

 

Grundstücksgröße

10.260 m²

Beschreibung

Objektbeschreibung

Der Ausgangspunkt dieses Entwurfes war die Frage wie ethnische Minderheiten in der modernen Welt funktionieren und wie man ihre Identität mit architektonischen Mittel fördern kann. Die Minderheit, die wir genauer unter die Lupe genommen haben, sind die Tataren. Während in Westeuropa die muslimischen Einwohner ein noch recht junges Phänomen darstellen, siedeln sich Muslime in Polen schon seit mehreren Jahrhunderten an. Dort bilden die Tataren einen festen Bestandteil der Bevölkerung und könnten als ein perfektes Beispiel der multikulturellen Integration dienen.

Anstatt eine passive Art von Architektur wie z.B ein "Museum für Tatarische Kultur" zu schaffen, ist es viel wichtiger auf aktive Art und Weise die Kultur dieser Minderheit zu pflegen. Eine Textilmanufaktur, die sich mit tatarischer Stoffproduktion beschäftigt, erzählt indirekt die Geschichte des Volkes und kann Ihre Traditionen und Werte fortsetzen. Das Gebäude dient jedoch nicht nur den Tataren, sondern bildet auch gleichzeitig einen Integrations- und Austauschraum. Außerdem spielte die Textilienindustrie und Stoffkultur in Ost Polen eine sehr wichtige wirtschaftliche Rolle.

Das Aussehen und Funktionieren dieser Manufaktur ist sehr eng mit dem da hergestellten Produkt verbunden. Der Anbau und die Verarbeitung von Lein als Faserpflanze hat eine Tradition, die bis in die Steinzeit zurück geht und war in Ost Polen sehr beliebt.
Der Flachsanbau findet im April statt. Nach ca. 3 Monaten (Ende Juli) ist die Pflanze reif genug um sie du ernten. Danach folgt die Bearbeitungphase bzw. Fasergewinnung. In der Zeit wird Flachs geriffelt, gerottet, getrocknet, gebrochen und als letztes gehechelt. Nach der traditionellen Flachsbearbeitung fanden alle diese Prozesse in einem vom Regen geschütztem Außenraum, da währenddessen sehr viel Staub und Reste produziert werden. Man sollte diese Aktivitäten innerhalb von ca. 3 Monaten abschließen, so dass im man im Herbst mit den eher "sauberen" Prozessen und der eigentlichen Textilherstellung anfangen kann. Das Spinnen, Weben, Bleichen und Nähen kann das ganze Jahr über stattfinden, soweit man genug Material hat. Für unseren Entwurf bedeutet das, dass man Räumlichkeiten braucht, die nur über 3 Monate im Jahr benutzt werden (die sogenannte "temporäre Produktion"). Man könnte natürlich Räume schaffen, die nach den 3 Monaten ihre Nutzung komplett ändern. Genau das wollten wir eigentlich vermeiden und bezüglich der Funktion des Gebäudes sich auf nur eine beschränken. Eine Funktion, die aber kräftig genug ist, um den Dorf eine neue Qualität geben. Aus diesem Grund haben wir eine andere Alternative für die 3-monatige Räume gefunden. Wir schaffen Bereiche in dem Gebäude, die nach der gewissen Zeit verschwinden. Damit so ein Konzept funktioniert müssen sich die Räume am äußeren Teil des Hauses befinden, bzw. an der Fassade. So können diese zu einem Außenraum werden.

Der Gedanke den Lager als Raum, der normalerweise in Gebäuden versteckt wird, nach außen zu bringen um die Funktion und Charakter des Gebäudes zu betonen, ist zu unserem Konzept geworden. Das Material wird also aus dem Feld auf der Fassade gelagert. In der unmittelbaren Nähe zu dieser Fassade finden dann gleichzeitig die ersten Prozesse der Produktion statt, die das benötigte Flachs sich aus dem "Lager" also der Fassade nehmen können. So findet ein Zirkulationsprozess statt. Die Fassade wird immer wieder nachgefüllt und der Flachs immer weiter verarbeitet. Es entsteht also eine "mobile Fassade" die im permanenten Bewegung ist und ein Symbol unserer Manufaktur bildet. Zudem bildet sie Räumlichkeiten für die "3-monatige" Prozesse. Nachdem das ganze Flachs aus dem Feld gebracht wird, werden auch die Prozesse abgeschlossen und dementsprechend die Bereiche nicht mehr benötigt. So können wir die Räume geschickt verschwinden lassen. Da nach dem Konzept die "temporäre Produktion" die äußere Hülle des Gebäudes schafft, aber auch unmittelbar an den weiteren Prozessen liegen muss, bilden die einzelnen Bereiche eine Art Funktionsschichten. Die erste Schicht wäre die "temporäre Produktion" nach der die dauerhafte folgt. Die Innere Schicht und somit den Herz der Manufaktur bildet der Austellungsbereich, wo die Besucher die hergestellten Produkte bewundern können.

Der Eingang zu dem Gebäude führt über die temporäre Fassade, die die äußere Schicht bildet. Als ein Besucher, der von dem Produktionsbereich abgetrennt werden soll, gelingt man über einen relativ schmalen Flur auf dem sich eine Garderobe und Toiletten befinden, direkt zu dem Herz des Gebäudes - dem Austellungsraum. Der Raum hat die Form eines Kreises, die einerseits an die tatarische Jurte erinnern soll, aber auch eine gewisse Bewegung in das Haus reinbringen soll. Der Besucher wird durch das Kreis geführt und weißt genau wo er lang soll. Auf dem Weg hat er die Möglichkeit in die einzelnen Bereiche der Produktion, die um den Kreis angelegt sind, reinzuschauen. Da die Öffnungen genau auf der gleichen Höhe wie die Fassadenfester liegen, entsteht nicht nur eine gewisse Interaktion zwischen dem Besucher und dem Mitarbeiter, aber auch ein Bezug zu dem Leinfeld und der umgebenden Natur. Zudem, falls notwendig, kann man auch von dem Raum zu den einzelnen Prozessen durch eine Tür gelingen.

Die Ausstellung ist ebenfalls in einem Kreis konzipiert. Der äußere Rand des Kreises ist als eine Bewegungsfläche für die Besucher gedacht, als der Weg den sie machen können, um die einzelnen Schritte der Textilbearbeitung zu folgen. In dem inneren, informellen Kreis werden die Produkte der Manufaktur gezeigt. Diese hängen an Seilen, die an einer leichten Metallkonstruktion befestigt sind. Teppiche, Matten und Kleidungsstücke werden über den Köpfen aufgehängt, so dass der Blick durch den Raum ermöglicht wird. Einige der Seile gehen jedoch bis zum Boden und schaffen Sitzmöglichkeiten in Form von Schaukeln, die fest geankert sind.

Wie erwähnt ist der Produktionsbereich um den Kreis angelegt. Dabei war uns wichtig, dass die Prozesse in einer richtigen Reihenfolge platziert werden. Die temporäre Produktion, die Riffeln, Rotten, Trocknen und Brechen beinhaltet, streckt sich von der Richtung des Feldes über die Ost und Südfassade und endet unmittelbar an dem ersten "sauberen" Prozess. Dieser Teil der Manufaktur befindet sich in einem geschützten Außenbereich, hinter einer kalten Leinfassade. Wenn diese im Winter verschwindet, bleibt nur eine überdachte Fläche übrig, die als eine Terrasse oder ein kleiner Eventraum benutzt werden kann. Die vier weiteren Prozesse (Spinnen, Weben, Imprägnieren/Bleichen und Nähen/Sticken/Färben) finden hinter einer warmen Fassade statt. Die Arbeitstische sind an der äußeren Wänden angeordnet, so dass sie möglichst viel Licht bekommen können. Die Bereiche, die an dem Kreis angrenzen, sind als Workshopflächen gedacht, wo die Besucher auch aktiv an der Produktion teilnehmen können. Die jeweiligen Hallen werden mit Wandschränken voneinander getrennt, die als Lager und Abstellfläche benutzt werden. Der kreisförmige Austellungsraum, der die Besucher von der Produktion trennt, bildet in seiner Form auch eine Bewegungszone für die Mitarbeiter (im äußeren Ring), die von einer zu der anderen Halle geligen möchten. Falls sie jedoch sich von den anderen Prozessen trennen wollen, können sie eine mobile Trennwand benutzten. Somit werden auch die Gäste nicht komplett in die Halle reinschauen.

Das Gesamtbild von dem strengen Raster und einem freien, wandlosen Raum wird durch 3 Elemente ergänzt, als einzige richtige Wände haben: dem Kreis und 2 Funktionskernen - dem Besucher- und Mitarbeiterkern. Da beide Kerne nicht die Gesamthöhe des Gebäudes benötigen und an sich geschlossen sind, werden sie als 2-geschossig ausgebildet, was auch die Nutzfläche erhöht. Der Besucherkern befindet sich gleich bei dem Eingang und beinhaltet Nebenräume wie Garderobe und Toiletten. Außerdem befindet sich dort ein kleines Büro, wo die Gäste auch was bestellen können. Der Mitarbeiterkern hingegen liegt etwas tiefer in dem Gebäude drin, unmittelbar an der Ostfassade, wo es auch einen Eingang gibt. So können auch die im Außenbereich arbeitende Beschäftigte die Räume leicht erreichen. In diesem Kern befindet sich eine Küche mit dem Gemeinschaftraum aber auch Toiletten, Duschen und Garderoben für die Mitarbeiter.

Beschreibung der Besonderheiten

Der Entwurf basiert auf einem klaren 6x6m Raster auf dem sich quadratische Holzstützen in einem Maß von 40x40cm befinden. Diese weisen aufgrund der Form von dem Dach verschieden Höhen auf (4m in dem niedrigsten und 8m dem höchsten Bereich des Hauses). Die Konstruktion wird von Balken ausgesteift, die jeweils zwischen den Stützen in dem oberen Bereich befestigt werden. Diese gehen in beide Richtungen und schaffen damit eine starke, selbsttragende Struktur. Da drauf wird die eigentliche Dachkonstruktion gesetzt, die aus Pfetten und Sparren besteht. Da drauf wird abschließend die Dachbekleidung gesetzt.

Das System des Daches funktioniert streifenweise. Es besteht aus 6 Streifen die je Reihe gespiegelt werden. Jeder Streifen besteht aus 6 Dachteilen - 2 Ebenen, 2 nach rechts geneigten und 2 nach links geneigten Elementen. So bildet das Dach zwei verschiedene Gesichter aus. Das "dörfliche", dass der Form der regionalen Dächern ähnelt und zur Straße sichtbar ist und das fabrikmäßige, dass jeweils auf den Seiten sichtbar wird. Die spezifische Form des Daches erlaubt auch seitliche Dachfenster zu schaffen, die die Produktionsbereiche von oben beleuchten. Zudem schafft sie ein
interessantes Erscheinungsbild, das einem Haus im Haus Prinzip ähnelt.

Aufgrund der zwei verschiedenen Arten von Prozessen entstehen zwei verschiedene Räume und Fassadenbilder. Es gibt eine temporäre, kalte Fassade und eine dauerhafte, warme Fassade. Sowohl die dauerhafte Fassade der Textilmanufaktur als auch die Konstruktion ist vollkommen mit verkohltem Holz eingekleidet. In Podlachien wurde Holz seit Jahrhunderten als Hauptmaterial für Konstruktion und Fassadenbekleidung für Einfamilienhäuser benutzt. Heutzutage stehen mehrere von diesen Gebäuden unter Denkmalschutz. Immer öfters hörte man aber von Brandfällen gehört, die dieser Art von Gebäuden betreffen. Um die Baufläche zu gewinnen und strenge Bauregeln zu vermeiden, ist die schnellste Art sie in Brand zu setzen. Mit unseren Entwurf wollen wir diese Ereignisse ins Erwägung ziehen und zeigen, dass die Holzarchitektur besondere Qualitäten in dieser Region hat.
Die verkohlten Holzbretter für die Fassade der Manufaktur sind aus lokalen Holz bei Einwohner des Dorfes vor Ort angefertigt worden. Sehr interessant für den Hausbau mit dem Seidenholz ist die Tatsache, es ist ein biologisches Produkt und resistent gegen Schimmelbefall und Insekten. Das Holz hat auch eine sehr gute Resistenz und Feuerbeständigkeit.

Aus den Fasern der einheimischen Flachspflanze werden seit einigen Jahren nicht nur Textilien, sondern auch Dämmstoffe hergestellt. Die Fasern werden durch Kartoffelstärke gebunden, als Flammschutzmittel wird natürliches Borsalz zugesetzt. Durch ihre feuchtigkeitsregulierenden Eigenschaften tragen die Flachsdämmplatten zu einem angenehmen Wohnklima bei. Flachsdämmungen sind Schadstofffrei, Recyclingfähig und leichte mit Holzwerkzeugen zu bearbeiten. Die Dämmplatten schützen im Winter zuverlässig vor Kälte und sind mit einer Wärmeleitfähigkeit von max. 0,037 W/mk nach DIN 18165 in die Wärmeleitgruppe 040 eingeordnet. Auch im Sommer schützen sie vor drückender Hitze. Durch die hohe Elastizität der Flachsfasern können die Dämmplatten einfach zwischen die Sparren oder Holzständer geklemmt werden. Die Platten erreichen Stärken von 240 mm U =0.16 m2·K/W.

Die temporäre Fassade hat eine besondere Funktion. Die dient hauptsächlich als Lager für Leinprodukten und zusätzlich bildet auch ein Raum für die ersten drei Prozessen. Die Fassade ist nur drei Monate nach der Ernte zu sehen, danach verschwindet sie fast vollständig. Strukturell gesehen funktioniert sie wie eine Flechtwerkwand. Die Flechtwerkwand ist eine der ursprünglichsten Formen einer Wand. Die Flechtwerkwand Fassade besteht aus senkrechten halbelastischen Metall Seilen und waagerecht gesetzten Flachsbündel, die mithilfe kleinen Hacken installiert sein können. Die Mitarbeiter können selber entscheiden welche Teile der Fassade sie benutzen wollen und je nach Bedarf füllen sie diese aus. So entsteht ein lebhafter Charakter der Fassade, der je nach Jahrszeiten sein Bild wechselt.

Schlagworte

Holz, Holzfassade, Mobile Architektur, Flachs, Textilien, Fabrik, Manufaktur, Balkenkonstruktion, Dach, Minderheiten, Tataren, Rural, Flexible Architektur, Industrie, Atelier, Museum, ethnische Minderheiten, Lager, Heu, Satteldach, Produktionshalle, Dachfenster, Produktionsbereiche, Lein, pflanzliche dämmung, nachhaltige dämmung, Dorf, ländliche architektur

Energetische Kennwerte

Energiestandard

Passivhaus

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