Heinze ArchitekturAWARD 2021: Teilnehmer
Ein Institut für Grenzforschung
Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Bauhaus-Universität Weimar, Architektur, Luisa Behrendt
Basisdaten zum Objekt
Lage des Objektes
Deutschland
Objektkategorie
Objektart
Art der Baumaßnahme
Entwurfskonzept
Fertigstellungstermin
05.2021
Zeichnungen und Unterlagen
Gebäudedaten
Tragwerkskonstruktion
Holz
Anzahl der Vollgeschosse
3- bis 5-geschossig
Beschreibung
Objektbeschreibung
Obwohl in jeder Epoche Formen der Ein- und Ausgrenzung von Territorien und Menschen stattgefunden haben, sind Grenzen selbst erst spät, besonders in den letzten zwanzig Jahren in den Fokus gerückt. Inzwischen findet eine Auseinandersetzung mit dem Grenzphänomen auf unterschiedlichen Gebieten statt. Neben den Sozialwissenschaften suchen auch Kunst und Architektur ihre Wege der Annäherung und Betrachtung, wie beispielsweise die Gründung des Berliner Zentrums für transnationale Grenzforschung an der Humboldt- Universität zu Berlin, die Wanderausstellung „die Grenze“ des Goethe-Instituts oder auch der deutsche Pavillon der letzten Architekturbiennale mit der Ausstellung „Unbuilding Walls“.
An diese Entwicklung knüpft das Institut für Grenzforschung an. Es soll ein Ort sein, der gleichermaßen der Forschung als auch Vermittlung dient. Denn zu beobachten ist, dass mit dem zunehmenden Abbau von politisch-militärischen oder ökonomischen Abgrenzungen, wie beispielsweise der Gründung der EU, kulturelle und ethnische Ausgrenzungen zunehmen. Hier wird deutlich, dass es nicht das Objekt der Grenze ist, – sei sie nun baulich manifestiert oder eine imaginäre Linie auf einer Karte – sondern dass die Ausgrenzung vom Menschen aus geht, dass sie die eigentlichen Mauern aufbauen. Strebt dieses Forschungsinstitut also danach, eine gleichberechtigte Zivilisation zu ermöglichen, ist vor allem die Einbindung des Menschen entscheidend und somit die Vermittlung von Wissen - sprich: Bildung.
Der Erforschung des vielschichtigen Themas der Grenze und den unterschiedlichen Annäherungen ihrer, soll das Institut ein Rahmen sein. Der Entwurf sucht darum nach einer übergeordneten Gemeinsamkeit, einem Narrativ, das auf die Potenzialen der Thematik blickt – und dieses sehe ich in ihrer Räumlichkeit. Grenze wird meist mit einer Linie assoziiert und impliziert, dass es ein Rechts und Links gebe. Drinnen und Draußen, Freund und Feind. Es ist eine bewusst geschriebene Geschichte, die sich mit der flächendeckenden Territorialisierung zugespitzt hat.
Betrachtet man jedoch Grenzgebiete, so ist sichtbar, dass dem häufig nicht so ist. Grenze ist vielmehr als ambivalenter Raum zwischen den sich gegenüberliegenden Staaten zu begreifen. Im kleinen Maßstab wird es vielleicht an Grenzübergangsstellen spürbar, wo Ausreise nicht unmittelbar Einreise bedeutet und sich zwischen den Posten bewegt wird - also Raum durchquert werden muss. Ihre Räumlichkeit ist jedoch noch viel weitgehender. Hier, am Ort der Abgrenzung, begegnen sich die Menschen der jeweiligen Systeme und begreifen, dass das jeweilige Gegenüber nicht unbedingt fremd ist, nicht anders, nicht gefährlich.
Grenze ist geprägt vom Austausch, vom Handel miteinander, und somit sind beide „Seiten“, während sie zwar territoriale eine eindeutige Zugehörigkeit besitzen, hier Teil eines mehrdeutigen Zwischenraums. Zum ambivalenten Charakter von Grenze gehört natürlich auch, dass sie der Ort sind, an welcher eine „harte“ Abgrenzung am stärksten spürbar wird. Eben weil sich Beziehungen und Wirtschaft meist über sie hinweg erstrecken, sie von der gegenseitigen Wechselwirkung leben, solange keine physischen Grenze sie davon abhalten.
Der Ort
Auch der Ort, an welchem ich das Institut für Grenzforschung verorte, erzählt von dieser Beziehung. Er liegt in Süddeutschland, an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und dem Kanton Schaffhausen. Das besondere am Kanton Schaffhausen ist, dass es zu großen Teilen nördlich des Hochrheins liegt und zu knapp 80% von deutschem Staatsgebiet umgeben ist. Der Grenzverlauf folgt hier nicht den natürlichen Gegebenheiten, sondern verläuft ohne Beachtung der Topografie. Wie in Grenzgebieten üblich, ist der Austausch von Gütern aller Art hier allgegenwärtig und geht Hand in Hand mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit voneinander. Unter anderem ist auch der verworrene Grenzverlauf ein Kind des Handels, ist er doch unter anderem durch die An – und Verkäufe von Land durch Gemeinden im 18. und 19. Jahrhundert entstanden.
Auf dem Randen, einem Höhenzug des Tafeljuras und ungefähr siebenhundert Meter vom heute nördlichsten Punkt der Schweiz, steht der Buchener Stumpen, eine über fünfhundert Jahre alte Eiche und ehemaliger Grenzbaum. Nördlich von ihr verlief einmal die Grenze des Gebietes der Hohen Gerichtsbarkeit von Schaffhausen, heute ist es deutsches Staatsgebiet. Hier soll das Institut für Grenzforschung entstehen.
Die deutsche Seite des Höhenzuges ist – man könnte meinen, es sei eine selbsterfüllende Prophezeiung – ein Gebiet am Rand. Nicht mehr dem Bodenseekreis zugehörig, auch noch nicht Schwarzwald und auch noch nicht in der Schweiz, zeichnet es sich heute durch „seine Nähe zu...“ aus. Zwei Kilometer östlich kreuzen sich zwei strategisch wichtige Bundesstraßen, die einen innerhalb von zwanzig bis fünfzig Minuten nach Schaffhausen, Singen, Donaueschingen, Zürich oder Konstanz bringen. Auch Wanderwege verlaufen hier, wie beispielsweise der Neckar – Baar Jakobusweg und der Europäische Fernwanderweg E1. Obwohl sich hier so viele Wege kreuzen, hat sich hier jedoch nie ein Knoten gebildet.
Mit der Verortung des Institutes an dieser Stelle soll ein neuer Impuls für diese Region entstehen. Es steht inmitten einer Wiese, abgesetzt von der kleinen Verbindungsstraße. Im Norden verläuft der Jakobusweg am Waldrand entlang, nach Süden öffnet sich der Blick auf die Schweizer Seite des Randens. Eine neue Bushaltestelle soll die Linien des öffentlichen Nahverkehrs beider Länder miteinander verknüpfen, der bereits vorhandene Wanderparkplatz wird erweitert und überdacht.
Am Buchener Stumpen vorbei wird das Gebäude über eine kleine Schotterstraße erschlossen. Im Norden fängt eine Stützmauer den Höhenunterschied ab, nach Süden entwickelt sich ein kleines Plateau. Das Gebäude ist von einem Garten umgeben, der die geologischen Besonderheiten des Randens und die dort vorhandene südeuropäische Flora und Fauna vorstellt.
Der Entwurf
Zwei wesentliche Fragen haben mich im Entwurfsprozess geleitet:
Was für eine Typologie dem Institut angemessen sei - greift es doch mit seiner Forschung eine Thematik von globaler Bedeutung auf und besitzt darum durchaus einen Symbolcharakter. Und welche Anforderungen werden an Forschung und Vermittlung gestellt, heute - aber insbesondere auch in zehn, 30 oder 50 Jahren?
Da die Anteilnahme an lokalem Geschehen durch das Internet keine physische Präsenz am Ort mehr voraussetzt, gehören dem Institut zwar um die fünfzig Forschende an, jedoch sind davon nur ca. 20 im Institut selbst niedergelassen, während die andern von überall aus der Welt aus arbeiten können. Neben den Räumen zu Forschung und der Ausstellungsfläche zur Vermittlung, besitzt das Institut eine kleine Bibliothek mit Archiv, eine Herberge für Schulklassen oder Wanderer und ein Rechenzentrum. Dieses ermöglicht allen Angehörigen des Instituts einen gleichwertiger Zugang zu Forschungsmitteln und sichert die digitale Infrastruktur, um das Institut autonom agieren zu lassen.
Mit seiner lokalen Verortung und globalen Anbindung greift es einen aktuell stattfindenden Wandel auf und wird ein Teil davon: Das Internet ermöglicht ganz neue Räume, die sich nun digital über territoriale Grenzen hinweg etablieren. Sie brechen das eindeutige und homogene Verständnis von Nationalstaaten – ein Staat, ein Territorium, eine Kultur, eine Sprache - auf, und positionieren sich zwischen dem bisher Bekannten. Das sind beispielsweise Global-Cities wie Frankfurt, welche zwar territorial klar verortet werden können, jedoch von vielen globalen Mächten und Märkten direkt beeinflusst werden. Auch ist es möglich, kulturellen Ritualen und Bräuchen nach dem Verlassen eines Landes weiterhin beizuwohnen, wodurch sich immer mehr „Transnationale soziale Räume“ etablieren und die Akzeptanz kultureller Vielfalt erfordern. Es sind alles Räume, die noch verhandelt werden müssen und dabei gestaltet werden können.
Während die rahmenden Schottenstrukturenfestgelegte räumliche Nutzungen besitzen, beinhalten die zentralen, großzügigen Räume zwischen den Systemen ausschließlich kommunikative und offene Nutzungen wie Foyer, Gastronomie, Ausstellung und Veranstaltungsraum. Der Zwischenraum selbst wird hier zum Vermittler von Wissen und Ideen. Im Osten befindet sich die öffentliche Erschließung sowie Bibliothek und Archiv, im gegenüberliegenden Gebäudeteil befinden sich die Herberge und die Büros der Forschenden.
Das Gebäude spielt mit den Gegensätzen: Der offene und dynamische Zwischenraum kontrastiert die enge, statische Zellenstruktur, Kommunikation steht der Kontemplation gegenüber. Besuchende und Forschende tauchen von den geschlossenen Seiten in den offenen Zwischenraum ein. Die durchgehenden Bodenplatten bilden einen gemeinsamen Grund, verbinden die beiden Systeme und machen deutlich, dass der Zwischenraum ein Produkt der beiden Gegenüber ist. In ihm kreuzen sich die Wege, finden zufällige Begegnungen zwischen Forschenden und Besuchenden statt und kann gemeinsam gestaltet werden.
Die Konstruktion
Die Konstruktion folgt der Idee, zwei durchschaubare Strukturen zu schaffen, deren Aufbau nachvollziehbar ist. Das Gebäude ist aus Massivholzwänden aufgebaut, aufgereiht in einem Achsraster von 3,40m. Darauf aufgelegt werden die Holz-Beton Verbunddecken. Im Zwischenraum übernehmen IPE600 Träger die Tragkonstruktion, welche auf Konsolen in den Brettsperrholzwänden aufliegen. Alle Bauteile werden übereinandergestapelt, schaffen so ein in sich geschlossenes System, das trotzdem den Eindruck erweckt, veränderbar zu sein. Eine Ausnahme in der Struktur stellt nur die Haupterschließung in Form einer Wendeltreppe dar. Sie verbindet die vertikal geschichteten Ebenen und schafft eine selbstverständliche Erschließung des Gebäudes. Besuchende wissen sich ihren Weg zu bahnen, ohne sich fragen zu müssen, ob dies nun ein Weg sei, den sie gehen dürfen. Die geflammten Wände dienen einerseits dem außen liegenden Holzschutz, schaffen jedoch auch mit ihrer schwarzen Farbe den Spagat zwischen Profanität und Erhabenheit.
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