Architekturobjekte
Nominiert für die Shortlist der Jury 2011
ICD/ITKE Forschungspavillon 2011
70174 Stuttgart, Keplerstr. 11
Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Universität Stuttgart
Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Universität Stuttgart
Basisdaten zum Objekt
Lage des Objektes
Keplerstr. 11, 70174 Stuttgart, Deutschland
Objektkategorie
Objektart
Art der Baumaßnahme
Neubau
Fertigstellungstermin
08.2011
Zeichnungen und Unterlagen
Projektbeteiligte Firmen und Personen
Gebäudedaten
Tragwerkskonstruktion
Holz
Anzahl der Vollgeschosse
1-geschossig
Raummaße und Flächen
Bruttorauminhalt
200 m³
Bruttogrundfläche
72 m²
Nutzfläche
50 m²
Verkehrsfläche
10 m²
Kosten
Veranschlagte Rohbaukosten des Bauwerks
25.000 Euro
Gesamtkosten der Maßnahme (ohne Grundstück)
30.000 Euro
Lage und Umgebung
Beschreibung
Objektbeschreibung
Das Projekt erforscht die Übertragung biologischer Strukturbildungsprinzipien der Plattenskelette von Seeigeln in die Architektur mittels neuartiger computerbasierter Entwurfs- und Simulationsverfahren, sowie computergesteuerter Fertigungsmethoden für deren bauliche Umsetzung. Eine besondere Innovation besteht dabei in der Möglichkeit der computerbasierten Anwendung der erkannten bionischen Prinzipien auf verschiedenartige Geometrietypen bei gleichzeitig hoher Leistungsfähigkeit, was durch die Tatsache demonstriert wird, dass die gesamte, komplexe Morphologie des Pavillons ausschließlich aus extrem dünnen (6,5mm) Sperrholplatten realisiert werden konnte.
Beschreibung der Besonderheiten
Die Schale des Sanddollars hat einen modularen Aufbau aus polygonalen Platten, die an den Plattenrändern durch fingerähnliche Kalzit-Projektionen miteinander verzahnt sind. Durch die spezielle geometrische Ordnung und Fügung der Platten entstehen hoch beanspruchbare Strukturen. Daher kann der Sanddollar als Vorbild für Schalen aus vorgefertigten Elementen dienen. Gleichermaßen können Fingerzinken, die in der traditionellen Holzbearbeitung formschlüssige Verbindungen ermöglichen, als das herstellungstechnische Pendant zu den Kalzit-Projektionen des Sanddollars verstanden werden.
Neben diesen Füge- und Ordnungsprinzipien werden auch grundlegendere Eigenschaften biologischer Strukturen verwendet:
Heterogenität: Die Zellengrößen sind nicht einheitlich, sondern passen sich lokalen Krümmungen und Diskontinuitäten an. Die zentralen Zellen in Bereichen kleiner Krümmung haben Abmessungen von über zwei Metern, während sie bei den Randabschlüssen teilweise nur einen halben Meter groß sind.
Anisotropie: Der Pavillon ist eine gerichtete Struktur. Die Zellen strecken und orientieren sich entsprechend den mechanischen Beanspruchungen.
Hierarchie: Die Struktur des Pavillons besitzt einen zweistufigen hierarchischen Aufbau. Auf der ersten Ebene werden die Platten mit einem geklebten aber biegeweichen Keilzinkenstoß zu Zellen gefügt. Auf der zweiten Hierarchieebene ist eine einfache biegeweiche Schraubverbindung ausreichend, die den mehrfachen Auf- und Abbau des Pavillons ermöglicht. Innerhalb beider Hierarchieebenen treffen jeweils 3 Platten bzw. Segmente an einem Punkt zusammen, was für beide Ebenen biegeweiche Kanten zulässt.
Auf Grundlage der Analyse der Sanddollars wurde die Morphologie seines Plattenskeletts von den Studierenden auf den Entwurf eines Pavillons übertragen. Drei Plattensegmente laufen stets an einem Punkt zusammen, ein Prinzip welches biegetragfähige, wenn auch verformbare, Strukturen ermöglicht, obwohl an den Fugen nur Normal- und Schubkräfte, jedoch keine Biegemomente übertragen werden können. Im Gegensatz zu klassischen Leichtbauweisen, welche nur auf belastungsoptimierte Formen angewendet werden können, ist das neue Konstruktionsprinzip auf beliebige Tragwerksgeometrien anwendbar. Das hohe Leichtbaupotential dieses Ansatzes zeigt sich zum einen darin, dass der Pavillon trotz seiner beachtlichen Abmessungen durchweg aus nur 6,5 mm dünnen Sperrholzplatten realisiert werde konnte und daher vor allem gegen Abheben durch Windsog gesichert werden muss.
Voraussetzung für den Entwurf, die Planung und Realisierung der komplexen Morphologie des Pavillons ist eine geschlossene digitale Kette vom Entwurfsmodell über Finite-Elemente-Simulationen bis hin zur Maschinenansteuerung. Formfindung und Tragwerksplanung sind dabei eng verzahnt. Durch einen optimierten Datenaustausch ist es möglich, die komplexe Geometrie wiederholt in ein Finite-Elemente-Programm einzulesen, mechanisch zu analysieren und zu modifizieren. Parallel dazu wurden die Keilzinkenverklebungen und die geschraubten Verbindungen experimentell geprüft und die Ergebnisse in den statischen Berechnungen berücksichtigt.
Die Fertigung der Platten und Zinkenverbindungen erfolgte schließlich auf der universitätseigenen sieben-achsigen robotischen Fertigungsanlage. Auf der Grundlage des computergenerierten Geometriemodells konnte auch die Erzeugung des Maschinensteuerungscodes (NC-Code) für die Maschinenansteuerung automatisiert werden, was die ökonomische Fertigung der mehr als 850 geometrisch unterschiedlichen Bauteile, sowie der mehr als 100.000 frei im Raum angeordneten Zinken erst ermöglichte. Im Anschluss an die robotische Fertigung wurden die Sperrholzplatten an den Fingerzinkenverbindungen zu Zellen gefügt, grundiert und lasiert. Der erste Aufbau dieser vorgefertigten Module erfolgte auf dem Campus Stadtmitte der Universität Stuttgart. Sowohl der Entwurf, die statische Analyse, die NC-Programmierung und Detailplanung als auch die robotische Vorfertigung und Montage wurden gemeinsam von Studierenden und Wissenschaftlern durchgeführt.
Die Realisierung des Forschungspavillon erlaubt die Untersuchung der bionischen Segmentbauweise anhand einer Freiformfläche, die verschiedene geometrische Situationen abbildet und dabei zwei unterschiedliche Räume ausbildet: Einen größeren, vom öffentlichen Platz zwischen den Universitätsgebäuden erschlossenen Innenraum mit einer aufgelösten Innenschale und großen, zum Universitätspark orientierten Öffnung, und einen kleineren, innerhalb den zwei Hüllebenen liegenden Zwischenraum, der die konstruktive Logik des zweischaligen Aufbaus erfahrbar macht.
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