Heinze ArchitektenAWARD 2015: Sieger "Faszination Nichtwohnbau"
Kirche am Meer / St. Marien in Schillig
26434 Wangerland, Jadestraße 34
Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Königs Architekten
Basisdaten zum Objekt
Lage des Objektes
Jadestraße 34, 26434 Wangerland, Deutschland
Objektkategorie
Objektart
Art der Baumaßnahme
Neubau
Fertigstellungstermin
02.2012
Zeichnungen und Unterlagen
Projektbeteiligte Firmen und Personen
Verwendete Produkte
Gebäudedaten
Raummaße und Flächen
Bruttorauminhalt
4.497 m³
Bruttogrundfläche
624 m²
Kosten
Gesamtkosten der Maßnahme (ohne Grundstück)
4.700.000 Euro
Lage und Umgebung
Beschreibung
Objektbeschreibung
Die simple Extrusion der Kreuzfigur aus dem Sockel hätte jedoch nur wenig formale Qualität erzeugen können. Für die Entwicklung der Komplexität der Gestalt ist daher eine weitere Komponente entscheidend: Mit einer einzigen Bogenlinie schneiden wir aus dem extrudierten Körper einen oberen Teil der Kreuzform so ab, dass eine überraschend vielfältige Gestalt entsteht. Der Begriff des “Schneidens” ist im Rahmen des Entwurfsfindung prozessual zu verstehen, ähnlich einer booleschen Operation. Die Gestalt gebenden drei Teilsysteme a) Rechtecksockel, b) Kreuzfigur und c) Bogenlinie erzeugen eine komplexes Raum- und Gestaltgefüge, welches vielfältige Bezugnahmen sowohl zum Kontext “Meer” als auch zur Typologie “Kirche” emergent erzeugt.
Interessanter Weise bleibt bei der Gestalt der Kirche am Meer deren Einfachheit lesbar, was eine gewisse Selbstverständlichkeit erzeugt. Gleichzeitig erzielt die Gestalt eine facettenreichen und uneindeutigen Abstraktionsgrad, die es dem Betrachter erlaubt, “offene Bilder” hineinzulegen.
Die Außenwand besteht nicht aus einem monolithischen Mauerwerk, sondern aus einer tragenden inneren Betonwand, der eine Klinkerschale mit zwischenliegender Dämmung vorgehängt ist. Dies ist einerseits mit der Notwendigkeit einer optimalen Wärmedämmung begründet, andererseits soll der Innenraum sich in seiner Materialität von der Außenschale unterscheiden. Der gewählte Klinker wird im Oldenburger Format 220x105x52 mm mit einer Rohdichte von 20 kN/m3 im Dänischen Verband verlegt. Dieser hochfeste Stein muss den extremen Wetterbedingungen an der Nordseeküste widerstehen, soll sich der ortstypischen Ziegelbauweise annähern aber gleichzeitig angemessen unterscheiden und soll den Geometrieverlauf ermöglichen und unterstützen.
Die Einfachheit der Materialwahl des seit Jahrhunderten als Baustoff bekannten Ziegels steht scheinbar im Gegensatz zur diesem komplexen Anforderungsgeflecht. Es bedarf wiederum einer prozessualen Überformung, ähnlich der oben beschriebenen Gestaltfindung, um aus Einfachheit Komplexität zu erzeugen. Der Backstein wurde speziell für dieses Bauvorhaben hergestellt, in dem er zweifach gebrannt wurde. Nach dem ersten Brand wäre der Backstein eigentlich technisch gesehen fertig, aber für die oben beschriebenen Anforderungen noch nicht geeignet.
Im fehlt nach dem üblichen ersten Brand die extreme Festigkeit, die Besonderheit und die Unterstützung der Geometrie. Der zweite Brand besteht aus der aufwändigen und fast in Vergessenheit geratene Technologie des “Dämpfens”. Das Tonmaterial wird im Ofen während des Brandes unter vollständigem Sauerstoffentzug von Außen gehalten. Dadurch entzieht das Feuer dem Backstein Sauerstoffanteile, die im Material gebunden sind. Der Stein nimmt nicht die typische rot-braunfärbung an sondern wird durchgehend schwarz, manchmal kristallisieren sich Salze an der Oberfläche, er schillert teilweise bläulich – grünlich oder wirkt manchmal wie ein silbrig-metallisches Stück Eisen. Dieser emergente Prozess ist schwer kontrollierbar und im Ergebnis nicht in Gänze vorhersehbar, erzeugt jedoch den Mehrwert, der die oben beschriebenen Kriterien vollumfänglich unterstützt.
Mit der Lichtführung wurde über die Dachkonstruktion auf einer weiteren Ebene die prozessuale Strategie der Emergenz eingesetzt um Komplexität zu erzeugen. Durch die oben bereits beschrieben Boolesche Operation wurde eine geschwungene Fläche erzeugt, die mit einem komplett gläsernen Dach belegt wurde. Diese Fläche ist zwar gleichzeitig geneigt und gebogen, aber trotzdem nur einachsig gekrümmt. Wenn man mit einem heißen Messer durch einen Butterklumpen bogenförmig hindurchführt erhält man ähnliche Geometrien. Allein diese Einfachheit der “Messerbewegung durch die Butter” erzeugt bereits eine komplexe Rand- und Oberflächengeometrie, die eine bautechnische Herausforderung darstellt. Für die angestrebte Lichtführung im Innenraum bedurfte es jedoch einer weiteren Komponente, ähnlich der des zweiten Brandes beim Ziegelmauerwerk. Die Träger die das Dach überspannen sind nicht linear geformt, sondern verjüngen sich zur Mitte und verbreitern sich wieder zum gegenüberliegenden Rand. Diese Formabweichung wurde jedoch nicht linear additiv auf alle Träger überragen sondern akkumuliert sich über dem Zentrum der Kreuzform und läuft in der Längsachse allmählich aus.
Das Ziel dieser Formgenerierung liegt in der Tageslichtführung, die einen dynamischen Verlauf von Licht und Schatten während eines Tages und während der Jahreszeiten erzeugen soll.
Das Licht fällt zunächst durch die kurvenförmig sich aufweitenden Trägerzwischenräume und trifft auf die ebenfalls kurvenförmig geschwungenen Wandflächen. In dieser geometrischen Überlagerung von zwei Kurvenflächen, die orthogonal zueinander angeordnet sind entstehen sich dynamisch verzerrende wellenförmige Lichtbänder, die dem Kirchenraum atmosphärisch bestimmen. Entscheidest dabei ist, das der Betrachter nur bei genauer Analyse der Gegebenheiten in der Lage ist, das Phänomen der Lichtwellen an der Wand zu entschlüsseln – im barocken Idealfall lässt er sich einfach auf die Eindrücke einer “Kirche am Meer” ein, ohne deren Konstruktion zu hinterfragen.
Auszeichnungen
Fritz Höger Preis 2014 - Winner Silver
Schlagworte
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