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Architekturobjekte

Heinze ArchitekturAWARD 2017: Teilnehmer


La Seta Italiana - Eine Seidenmanufaktur im Piemont

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Universität Stuttgart, Architektur und Stadtplanung, Julia Werwigk

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Universität Stuttgart, Architektur und Stadtplanung, Julia Werwigk

Basisdaten zum Objekt

Lage des Objektes

Italien

Objektkategorie

Objektart

Art der Baumaßnahme

Entwurfskonzept

Verwendete Produkte

Hille

Dach

Lignum

Fassaden

Gebäudedaten

Tragwerkskonstruktion

Stahlbeton

Anzahl der Vollgeschosse

2-geschossig

Raummaße und Flächen

Nutzfläche

10.000 m²

Beschreibung

Objektbeschreibung

DIE TRANSFORMATION DES ORTS Der Produktionsstandort des Familienunternehmes Bosio existiert seit 1956 und befindet sich in der kleinen Gemeinde Castiglione Torinese in der Turiner Metropolregion. Vom Turiner Architekten Carlo Mollino geplant, war er 60 Jahre Ort der industriellen Herstellung von Autoersatzteilen und ursprünglich für 500 Mitarbeiter ausgelegt. Der Strukturwandel und innovative Herstellungsprozesse brachten neue Anforderungen an die Produktionsstätte mit sich, welche die Bestandsarchitektur nicht mehr gewährleistet. Roboter in eingestellten Klimaboxen übernehmen heute die Arbeit. Über 10 000 qm Fläche sind nicht mehr richtig nutzbar und das Unternehmen wird in absehbarer Zeit an einen neuen Standort wechseln. Als Folgenutzung wird in der Gemeinde ein großes Einkaufszentrum diskutiert. Diese Entscheidung könnte zum Zusammenbruch des kleinteiligen Einzelhandels und zur Überfrequentierung der dörflichen Infrastruktur führen sowie steigende Umweltbelastungen mit sich bringen. Die architektonischen Qualitäten der Produktionshalle, ihre Atmosphäre und Lichtstimmung, wären ungenutzt oder würden gar abhanden kommen.

Die sichtbare räumliche Transformation durch zahlreiche verlassene Produktionsstätten, ersetzt durch wirtschaftlichere Klimahüllen, prägen das Bild im Piemont und drücken die sichtbare Konfrontation der Bevölkerung mit dem Wegbruch ehemals dominierender Faktoren ihres Lebensumfelds aus. Einst identitätsstiftende Architektur verliert durch ihren Funktionsverlust an Bedeutung und Wertschätzung. Die einstige Ausrichtung der örtlichen Gemeinschaft auf den Industriebetrieb und der sukzessive Abbau dieser früher alltagsstabilisierenden Infrastruktur brachte Abwanderung und Orientierung der Bevölkerung an städtischen Strukturen und zugleich die kulturelle Identität des Dorfs ins Wanken.

DIE METAMORPHOSE DES GEBÄUDES Die Umnutzung des Fabrikstandorts zu einer Manufaktur mit Seidenraupenaufzucht, der Faden- und Gewebeherstellung sowie ihrer Veredelung hat die Rückgewinnung seines Identifikationspotenzials durch die gezielte Anknüpfung an lokale Mentalität und Traditionen zum Ziel: die Förderung der lokalen manuellen Produktion, dem „Made in Italy“, sowie die Wertschätzung eigener Agrarprodukte werden zum Impulsgeber einer gefestigten Bindung der Menschen an ihre Heimat in einer Region, die immer noch als wirtschaftliches Rückgrat des Landes gilt. Die im Entwurf vollständig integrierte Wertschöpfungskette mit ihrer Bandbreite an handwerklichen, technischen und intellektuellen Arbeitsprozessen ist ökonomisch robust, inkludiert verschiedenste Ausbildungsniveaus und orientiert sich an den lokalen Potenzialen des Klimas und Knowhows des Seidenanbaus, der „Serikultur“, ein einst führender und verblasster Exportzweig in Norditalien. Zudem gibt seine Wiederbelebung eine Antwort auf die national sowie weltweit steigende ungedeckte Nachfrage nach Bioseide.

Beschreibung der Besonderheiten

DER PRODUKTIONSBEREICH Als Rohstoff der Seidenproduktion gelten die Blätter des Maulbeerbaums, welche an die Raupen des Maulbeerspinners verfüttert werden. Nach mehreren Wochen des Fressens verpuppen sie sich in einem Kokon, aus dem händisch der Seidenfaden und maschinell das Gewebe gewonnen wird. Die manuellen Arbeitsschritte, welche Sonderkonditionen für Akustik, Belichtung und Klima benötigen, befinden sich in Holzständerboxen, die im Untergeschoss in das Logistikzentrum eingestellt sind. Durch sie nähert sich das Blatt, der Faden und das Gewebe von der Plantage ausgehend dem Veredelungs- und Exportbereich an. Die Manufakturstränge und ein öffentlicher Besucherweg durchstoßen die Geschossdecke unter den Scheitelpunkten der mittleren fünf Betonschalen, um die bestehende Tragkonstruktion nicht zu tangieren. Nur an diesen Stellen werden Teile der Bestandsbodenplatte entfernt. Die Manufakturstränge mit dunkler Holzbeplankung sind je nach Funktion in unterschiedlichen Höhen und Lichtstimmungen ausgeführt. Sie scheinen über der Bestandsbodenplatte zu schweben, denn eine nach innen gerückte Sockelzone mit Schattenfuge verstärkt diesen Eindruck. Das dunkle Holz steht im Kontrast zum durchgehend lichtdurchfluteten Raumvolumen, ebenso der dunkle Zementestrich im Bereich der Weiterverarbeitung durch die Schneiderstudios. Diese befinden sich in den Außenbereichen des Erdgeschosses, das über Stege mit dem Besucher- und Ausbildungszentrum verbunden ist.

DER BESUCHERWEG Der gewebte Stoff und die veredelten Kleidungsstücke gelangen über die äußeren Stege in die Verkaufs- und Ausstellungszone. Diese stellt gleichzeitig den Start des Besucherwegs dar, nachdem der Ankommende durch ein hochstämmiges Baumdach achsial zum Eingang des Besucherzentrums geleitet und dabei vom Rohstoff der Seide umhüllt wurde. Die für Besucher öffentliche Mittelachse, welche durch die Bestandskomposition der Gebäudevolumen und die Ausrichtung des Sheddachs unterstrichen wird, führt in das Herz der Produktionshalle. Durch eingestellte Betonwände, hinter denen sich die Anprobe befindet, ist die öffentliche Zone von den Schneiderbereichen abgetrennt und dennoch bei Modeevents als Catwalk nutzbar und direkt zugänglich. Sie wird von einem orthogonal zu ihr liegenden Besuchersteg gekreuzt, der die Schnittstelle zwischen den Besuchern und der Seidenproduktion darstellt. Er verbindet die Manufakturstränge und gewährt den Besuchern auf der darüber liegenden Ebene auf verschiedene Weise Einblick in die manuellen Herstellungsprozesse ohne diese zu stören. Am Ende des Mittelgangs befindet sich eine Cafélounge. Eine breite Treppe führt nach unten ins öffentliche Restaurant der Mitarbeitermensa, wo sich Mitarbeiter und Besucher begegnen können. Der überhöhte Raum wird über das Shed belichtet und von der darüber schwebenden Betonschale abgerundet. Der mittige Ausgang leitet auf die asphaltierte Bestandsplattform, wo der Besuch mit dem Kauf eines Setzlings und die Erfahrung mit einem Spaziergang durch die Plantage zurück zum Haupteingang und den Parkflächen beendet werden kann.

DIE KULTURPFLANZE Die Einführung der endemischen Weißen Maulbeere folgt genau definierten Gestaltungsprinzipien. In den Bereichen ihres Einsatzes wird die ehemals komplett geschlossene Mauer des Areals zur Kulturlandschaft darum herum geöffnet und ein fließender Raum erzeugt. Dem hochstämmigen Kronenteppich im Südosten steht im Nordwesten ein tiefes Vorzuchtsfeld der Setzlinge entgegen. Komplettiert wird das Grünkonzept durch die strenge, niedere Plantagenpflanzung im Südwesten, deren Reihung sich im Gebäudeinneren durch den Stützenwald der Konstruktion und der zur Plantage parallel ausgerichteten Manufakturstränge fortsetzt. Sie funktioniert als Mischkultur und ist als Agroforstkreislauf zur Ertragsgewährleistung gedacht. Die Strukturierung durch den Ernte- und Besucherweg, welche den Blick auf das Alpenpanorama freigeben, rundet sie ab.

DIE WIRKUNG Die Raumsequenz zwischen den Baukörpern wird in der Fassadengestaltung verstärkt, indem sie als geschlossenes Volumen über dem verglasten, sich zur Landschaft öffnenden Logistikzentrum schwebt und im Bereich des Besucherzentrums auf der Erde aufliegt. Sie wird von einer stehenden Holzschalung aus vorvergrauter Weißtanne gegliedert, die in Anlehnung an die Organik der Blätter, Raupen und den händischen Herstellungsprozess im Innern gewählt wurde. Im Gegensatz zum geschlossenen Erdgeschoss legt der Bereich darunter das Konstruktionsprinzip des Stahlbetonskeletts frei. Dies ermöglicht Einblick in die Produktionslogistik und lässt die eingestellten Boxen erahnen. Der Ausbildungsbereich folgt dem Prinzip der rhythmisierten Außenhaut. Innenliegende Seidenvorhänge zeigen das Endprodukt und sind Puffer gegen Sonne und ablenkenden Einblick. Dem ehemaligen Pförtnertor folgend, das als Anker des städtebaulichen Sonderbausteins zur Dorfstraße fungiert, schiebt sich die Seidenmanufaktur auf einer Plattform in die Kulturlandschaft und verbindet subtil inhaltlich als auch räumlich ihre natürliche und gebaute Umwelt.

Auszeichnungen

Engere Wahl Egon Eiermann Preis 2017

Egon Eiermann Preis 2017 Engere Wahl

Egon Eiermann Preis 2017 Engere Wahl

Schlagworte

Umnutzungskonzept, Bauen im Bestand, Produktion zurück in die Stadt, Bauen im Bestand, Produktion zurück in die Stadt, Bauen im Bestand, Umnutzungskonzept, Produktion zurück in die Stadt, Identitätsstiftende Bestandsarchitektur

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