Heinze ArchitekturAWARD 2023: Teilnehmer
Parque das gaiolas - Ein kulturelles Zentrum für Lissabon
Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Bauhaus Universität Weimar, Architektur, Dominic Fohrer
Basisdaten zum Objekt
Lage des Objektes
Portugal
Objektkategorie
Objektart
Art der Baumaßnahme
Entwurfskonzept
Fertigstellungstermin
05.2023
Zeichnungen und Unterlagen
Gebäudedaten
Bauweise
Holzbau
Tragwerkskonstruktion
Holz
Anzahl der Vollgeschosse
3- bis 5-geschossig
Beschreibung
Objektbeschreibung
Lissabon, die Haupt- und gleichzeitig größte Stadt Portugals, besitzt eine bewegte jüngere Geschichte. Noch vor einigen Jahrzehnten war die Stadt ein armes Gebiet, in dem große Teile des Stadtzentrums von Gewalt und Kriminalität geprägt waren. In den 80er-Jahren weigerten sich Taxifahrer:Innen, einige der zentralen Viertel anzufahren. In den letzten vierzig Jahren legte die Stadt dagegen eine rasante Entwicklung hin und wurde nicht nur zu einem der beliebtesten touristischen Reiseziele Europas, sondern auch zu einer der sichersten Städte des Kontinents.
Der rapide Wandel führt dabei jedoch nicht nur zu Vorteilen wie Sicherheit. Lissabon hat heute mit starker Gentrifizierung zu kämpfen. Seit Anfang der 80er-Jahre ging die Einwohner:Innenzahl konstant zurück und die Stadt verlor seit dem 300.000 Einwohner:Innen. Grund dafür sind die rasant angestiegenen Mieten und Lebensunterhaltskosten, die mit einem portugiesischen Durchschnittsgehalt von etwa 1000 Euro nicht mehr zu stemmen sind. Dies führt dazu, dass viele Portugies:Innen aus der eigentlichen Stadt in umliegende Satellitenstädte/Siedlungsgebiete ziehen müssen. So entstand die eigentümliche Dynamik, dass die Zahl der Einwohner:Innen Lissabons zwar kontinuierlich abnimmt, die Bevölkerung des Ballungsraumes aber stark ansteigt.
Gleichzeitig ist die Stadt geprägt von einer unglaublichen Anzahl an leer stehender, baufälliger Häuser. Die Zahl der verfallener Gebäude geht in die Zehntausende. Diese Situation ist auf zwei Gründe zurückzuführen:
Bis 2012 war es den Besitzern der Häuser verboten, die Mieten zu erhöhen. Durch die gleichzeitig stattfindende Inflation lohnte es sich für die Eigentümer:Innen irgendwann nicht mehr Geld in ihre Häuser zu investieren, um diese instand zu halten. Die Gebäude trugen sich finanziell nicht einmal mehr selbst. Daher überließen viele Besitzer:Innen die Häuser dem Verfall. Nachdem das Gesetz gekippt war, wurde zwar angefangen, in die Renovierungen einiger Häuser zu investieren, allerdings ausschließlich zum Schaffen neuer Luxuswohnungen oder Hotels. Was die ohnehin schon vorhandene Gentrifizierung nur weiter befeuerte und mittlerweile alle zentralen Stadtteile in Preissegmente, vergleichbar mit deutschen Großstädten, brachte. Dazu kommt, dass sich der Immobilienmarkt Lissabons seit Jahren in einer Spekulationsblase befindet. Insbesondere ausländische Investor:Innen halten einen großen Teil der Wohnhäuser in der Stadt mit dem Ziel, diese nach Wertsteigerung mit Profit zu verkaufen. Meist wird sich von den Besitzer:Innen in dieser Zeit nicht um die Gebäude gekümmert. In der Stadt befinden sich also nach wie vor unzählige leer stehende Häuser, während trotzdem immer mehr Einwohnende gezwungen sind, aus der Stadt heraus zu ziehen.
Die hohe Leerstandsquote, gekoppelt mit der Gentrifizierung, führt nicht nur zu einer tragischen sozialen Dynamik, sondern ist im Kontext der Klimakrise auch auf ökologischer Ebene unbedingt zu reduzieren. Die beiden Thematiken sind untrennbar miteinander verknüpft und müssen zusammen betrachtet werden, um eine ganzheitliche, nachhaltige Lösung zu finden. Hier möchte ich mit meiner Masterthesis ansetzen und mich anhand eines repräsentativen Fallbeispiels mit der Thematik befassen und einen Ansatz erarbeiten, welcher einen neuen Mehrwert für die Allgemeinheit erzeugen kann.
Der Ort
Inmitten einer der teuersten Viertel Lissabons, nahegelegen des Marques de Pombal, einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt, befinden sich drei verlassene Wohnungsbauten. Die Bauten sind als Punkthäuser nach einer besonderen Fachwerkkonstruktion erbaut, die infolge der Zerstörung durch das große Erdbeben von Lissabon 1755 entwickelt wurde - dem „Pombalino Gaiola Stil“. Um weiteren Beben in Zukunft standhalten zu können, ist das Fachwerk dabei extrem stark ausgesteift und wird in die massiven steinernen Außenwände eingestellt. Das Gaiola (port.: Käfig) Fachwerk kann so im Erdbebenfall alle Schwingungen aufnehmen und die - im Bebenfall - ungeeigneten Steinwände entlasten. Der Stil wurde bis Anfang des 20ten Jahrhunderts weitreichend in Lissabon angewandt. Die drei Punkthäuser, 1903 geplant, müssen dabei zu den letzten gebauten Objekten dieser Art gehören.
Die Gebäude haben heutzutage besondere Bekanntheit als „Leinwand“ für Graffitikünstler:Innen erlangt. Die Kunstwerke zählen dabei zu den größten ihrer Art in Europa. Die Häuser besitzen dadurch enorm Strahlkraft in Lissabon und haben sich als Symbol des Leerstands in der Stadt etabliert.
Im rückwärtigen Bereich des Grundstücks liegt eine eingegrabene Tiefgaragen-Bauruine. Im Zuge der Finanzkrise ist die Planung für zwei weitere Punkthäuser auf dem Grundstück geplatzt und hinterließ einzig den halb fertigen Rohbau der Tiefgarage. Die Struktur wird von massiven Pilzkopfstützen getragen und zeichnet sich durch drei patioartige Löcher aus.
Das umliegende Viertel ist geprägt durch neue, anonyme, teure Hotelbauten, Büroflächen und Luxusboutiquen. Aufenthaltsflächen ohne Konsumzwang oder Funktionen mit einem kulturellen Wert sind in der Gegend dabei kaum zu finden.
Kurzgesagt bietet das Viertel kaum Begegnung oder Wohnmöglichkeiten für die normal verdienende portugiesische Bevölkerung.
Das Konzept
Begründet durch den historischen Wert der Gebäude sowie ihren aktuellen kulturellen Beitrag durch die Graffitikunst soll das Ensemble als öffentlich genutzter Teil in die Stadtstruktur zurückgeführt werden. Die Gebäude sollen dabei so niedrigschwellig wie möglich für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So soll ein Ort in einem sonst sehr exklusiven Viertel entstehen, welcher einen Mehrwert für die gesamte Bevölkerung bietet und gleichzeitig auf die vorher beschriebene prekäre soziale und ökologische Situation aufmerksam macht.
Das gesamte Ensemble soll mit kulturellen Funktionen wie Theater, Ausstellung, Sportangeboten oder einer Bibliothek besetzt werden.
Ein Teil eines der Bestandsgebäude musste vor einigen Jahren nach einem Brand zurückgebaut werden. Dies resultiert in einer abgebrochenen Ecke, die wie ein gebauter Schnitt Einblicke in das Gebäude ermöglicht.
Diese Situation bildet den Startpunkt für das architektonische Konzept. Aufbauend auf diesem „geöffneten“ Haus soll auch der Rest der Gebäude freigelegt und geöffnet werden.
Durch das Freilegen wird auch die besondere Fachwerkkonstruktion sichtbar gemacht. Die so freigelegten Gebäude besitzen so nicht nur einen didaktischen Wert, in dem diese historische Konstruktionsmethode aufgezeigt wird, sondern werden auch ohne Konsumzwang der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In den drei Bestandshäusern werden spezifische Funktionen auf ein Minimum reduziert. Vielmehr sind die so geöffneten und freigelegten Häuser in ihrer Funktion als Park zu verstehen. Als Erweiterung des Stadtraumes, der von jedem Menschen frei zugänglich erkundet und genutzt werden kann.
Zusammen mit der Tiefgaragenruine im rückwärtigen Bereich des Grundstücks bildet der Bestand ein Ensemble an Zeitschichten. Dieses wird durch drei über der Garagenstruktur schwebenden Neubauten ergänzt. Diese beinhalten dabei im Gegensatz zu den historischen Bestandsbauten spezifische Funktionen. So soll ein Synergieeffekt zwischen den umprogrammierten offenen Bestandshäusern und den neueren, spezifisch programmierten Gebäuden erzeugt werden. Um diesen Effekt zu unterstützen, werden Brücken zwischen allen sechs Hochbauten gespannt. Neben der Funktion der Verknüpfung zwischen alt und neu nehmen diese auch gleichzeitig den zweiten Fluchtweg auf.
Um die neuen Kuben als eigenständige Zeitschicht ablesbar zu machen, werden
die Neubauten als in sich steife Körper konzipiert, deren Wandscheiben in punktförmigen Auflagern enden. Diese liegen auf in der Patiostruktur eingeklemmten Betonscheiben auf. Die so kreierten abgesetzten „Ballerinafüße“ erzeugen so eine Fuge zwischen den Zeitschichten von Tiefgarage und Neubau. Aufzug und Treppenkern verknüpfen dabei die Neubauten mit der Garagenstruktur und dienen gleichzeitig als abspannende Elemente, um die Rahmenkonstruktionen zu fixieren.
Das gesamte Ensemble kann so unverfälscht seine gesamte Historie an baulichen und kulturellen Eingriffen erzählen.
Der Entwurf
Die Gründungsdetails bestehen aus einem eigenständigen Vokabular, welches aus den Parametern der Garagenstruktur und den darüber liegenden Neubauten entwickelt wurde. Die neuen Betonscheiben werden mit der alten Betonstruktur verschmolzen und kreieren so Skulpturen, welche den Moment an der Alt und neu zusammentreffen, klar lesbar hervorheben.
Die Grundrisse der Neubauten folgen dabei alle derselben Logik. Die großen Räume werden durch die eingestellten Wandscheiben gegliedert. Je nach Funktion variieren diese in ihrem Abstand zur Außenhülle. Die Bibliotheks- und Verwaltungsräume gliedern sich so beispielsweise in eine kleinteiligere Struktur, während das Sportangebot aus einem jeweils möglichst großen Raum besteht. Der Tanz- bzw. Mehrzweckraum übernimmt durch seine zentrale Lage eine eigenständige Rolle in der Anlage ähnlich einer Plaza und wird gleich durch drei Brücken mit anderen Räumen verbunden. Dementsprechend führen um den eigentlichen Veranstaltungsraum großzügige Verkehrsflächen.
Formal findet sich auch in den freigelegten Bestandsgebäuden eine rechteckige Gliederung wieder. Die Wände der äußeren räumlichen Schicht werden durch neue, freie Holzrahmen ersetzt. Gleichzeitig werden die Geschoße in dieser Schicht durch Lufträume miteinander verknüpft. Das entstehende Raumkontinuum innerhalb der eigentlich kleinteiligen Struktur präsentiert sich so mit einem öffentlichen GestusDie Bestandswände der inneren Ringe werden behalten und die Gaiolastruktur konsequent freigelegt. Die neuen Holzrahmen übernehmen so zusammen mit der alten Fachwerkstruktur die aussteifende Wirkung im Gebäude. Die alten und neuen Bauteile werden farbig (bei Bedarf mit Brandschutzfarbe) bemalt. Einerseits um den lebendigen Charakter des Ortes zu unterstreichen, andererseits markieren die verschiedenen Farben die unterschiedlichen Zeitschichten der strukturellen Elemente. Rot steht dabei für einen neuen Eingriff, Orange für ausgetauschte Bauteile und Grün für die erhaltene Bestandsstruktur.
In das Raumkontinuum werden einige Warmräume eingestreut, die beispielsweise Gastronomieangebote, weitere Arbeitsplätze oder Werkstätten beinhalten. Das Erdgeschoss des nördlichen Hauses ist dabei einer baukulturellen Einrichtung zur Vermittlung des historischen Werts der Gaiolakonstruktion, vorbehalten.
Zum einen werden die Gebäude so zusätzlich bespielt, zum anderen kontrollieren sie sich durch die kleinen spezifischen Funktionen auf sozialer Ebene selbst.
Die Bestandsgebäude besitzen nicht nur ein Hochparterre, sie liegen auch alle etwa einen Meter höhenversetzt zueinander. Um diese also barrierefrei erschließen zu können, muss der Zugang aus der zentralen Gasse (0.00 Level) erfolgen. Die Aufzüge machen sich die Kaminschächte zunutze und werden dort eingesetzt. So können diese direkt von der Fassadenseite erschlossen werden.
Um die verschiedenen Teile des Ensembles weiter zu vereinheitlichen, nutzt der Entwurf einige verschiedene Operationen:
Sowohl die Neubauten als auch die Eingriffe im Bestand sind als Holzrahmen konzipiert und folgen so einer verwandten konstruktiven Logik.
Die Aufzüge sowie die neu eingesetzten Treppen arbeiten ebenso mit der selben Materialität wie im Neubau und stellen so einen weiteren Verknüpfungspunkt mit diesen her.
Auch die Fassade der Neubauten fungiert als verknüpfendes Element zwischen alt und neu. Sie spielt mit der Struktur der Altbauten und dreht die Logik dieser um. Anstatt massiver Außenwände wird den Neubauten ein leichtes Markisenkleid übergeworfen, welches sich ableitend aus dem Relief der Altbauten an den Stellen, an denen Bodenplatte auf Fassade trifft, aufwölbt und der den Kuben so Plastizität verleiht. In die Fensteröffnungen der Altbauten werden dieselben Markisen als Verschattungselemente eingebaut. Die Farblichkeit der Markisen, sowohl der neu als auch der Altbauten leitet sich dabei aus den Graffiti Kunstwerken ab.
Auf dem Erdgeschosslevel reagieret die Fassade der Neubauten je nach beinhalteter Funktion. So ist der Ausstellungsraum thermisch getrennt und der Sportbereich komplett offen belassen. Der Theater/Veranstaltungsbereich kann dagegen flexibel geschlossen oder geöffnet werden. Je nachdem, wie es das Event erfordert.
Insgesamt lässt sich der Entwurf als eine Vision für die Stadt Lissabon lesen. Eine Vision, die aufzeigt, was für Potenziale in den vielfältigen leer stehenden Gebäuden Lissabons schlummern. Gleichzeitig bildet der Vorschlag eine Antithese zu der Aktuellen umgangsweise mit diesen. Anstatt Luxuswohnen oder Hotels für einige wenige vorbehalten zu schaffen, versucht das Projekt die prachtvollen Gebäude der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Sodass ihre unbestreitbaren Qualitäten von allen Menschen erfahren werden können.