Architekturobjekt 23 von 131
Nominiert für die Shortlist der Jury 2022 - Nachwuchsarbeiten

Architekturobjekte

Nominiert für die Shortlist der Jury 2022 - Nachwuchsarbeiten


Ressource Plattenbau

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Universität der Künste Berlin, Philipp Preiß und Tobias List

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Universität der Künste Berlin, Philipp Preiß und Tobias List

Basisdaten zum Objekt

Lage des Objektes

Deutschland

Objektkategorie

Objektart

Art der Baumaßnahme

Entwurfskonzept

Fertigstellungstermin

04.2022

Gebäudedaten

Tragwerkskonstruktion

Sonstige

Beschreibung

Objektbeschreibung

0. Theorie

Während der Deutschen Demokratischen Republik wurde eine enorme Menge an Beton, Stahl und Arbeitskraft eingesetzt, um etwa 1,8 Millionen Wohnungen in Plattenbauweise in Deutschland zu errichten. Noch während des Baus dieser Siedlungen wurden sie für ihre rigide und repetitive Urbanität kritisiert, die Gefühle zwischen Monotonie und Anonymität auslöst. Nach dem Fall des DDR-Regimes und in einem schrumpfenden demokratischen Kontext der Ostgebiete schlugen Architekten wie Lucien Kroll radikale Ideen zur Umgestaltung dieser Siedlungen vor. Heute befinden wir uns in einer Situation, in der die Bevölkerung in Städten wie Berlin zunimmt und es daher an bezahlbarem Wohnraum mangelt. Unter dem Titel Ressource Plattenbau arbeiteten wir an Möglichkeiten, durch Transformation, Verdichtung und Revitalisierung von Plattenbauten in und um Berlin nachhaltigen, sozial orientierten Wohnraum zu schaffen.

Thesen:
Zu Beginn des Projekts haben wir uns einen Großteil der Ostberliner Massenwohngebiete angeschaut, sie mit dem Fahrrad erkundet und Situationen fotografiert, die uns interessierten oder inspirierten. Während dieser Zeit haben wir unsere Gedanken und Ideen in 12 Thesen niedergeschrieben. Mit „City of Now" und „Fragment" zum Beispiel wollen wir beschreiben, dass die Stadt sich in einer kontinuierlichen Entwicklung befindet und, um es mit Philip Oswalts Worten zu sagen, nie ihre endgültige Form finden wird. In „Ownership" geht es um die Notwendigkeit von Eigentumsmodellen ohne spekulatives Interesse, um sozial orientierten Wohnraum zu schaffen. Noch ist die Mehrzahl der Gebäude in Plattenbaugebieten im Besitz von Genossenschaften oder kommunalen Wohnungsunternehmen – eine Grundvoraussetzung, um bezahlbar zu bauen. Mit „Affordability" wollen wir die Möglichkeit aufzeigen, die vorhandenen Infrastrukturen in diesen Gebieten weiter zu nutzen und mit effizienten Bausystemen wie dem Plattenbau selbst zu arbeiten.
Mit „Open Space“ werden die großen Freiräume in diesen Gebieten beschrieben, die entweder Parkplätze sind, die für uns große Verdichtungs- und Transformationspotenziale bergen oder Grünflächen, die sich in den letzten Jahrzehnten zu schönen Oasen entwickelt haben, die es zu erhalten gilt. Plattenbaugebiete werden heute von den meisten Menschen als repetitive und anonyme Schlafstädte wahrgenommen. Für uns fehlt es in diesen Ensembles an Vielfalt, Nachbarschaft, Gemeinschaft und Urbanität.

Architektonische Grammatik:
Wir haben versucht, diese Gedanken und Ideen in architektonische Prinzipien für eine nachhaltige Transformation zu übersetzen: Ökonomisch planten wir zum Beispiel mit einfachen Rasterstrukturen und einem hohen Grad an Vorfertigung und Wiederholung. Ökologisch bewahren wir die Qualitäten von Grünflächen und erhalten alle Bäume. Auf der sozialen Ebene ist ein wichtiges Moment die Schaffung von Begegnungsräumen, wie z.B. großzügige Erschließungsflächen im Freien. Im Kontrast dazu fügen wir immer auch private Räume für die individuelle Entfaltung jeder einzelnen BewohnerIn hinzu.

Berlin und darüber hinaus:
Nach der Analyse von Plattenbaugebieten in und um Berlin haben wir drei Standorte ausgewählt, die den prototypischen Massenwohnblock in drei sehr unterschiedlichen Kontexten zeigen. Wir lebten jeweils eine Woche lang vor Ort, um die Umgebung und die Gebäude von innen mit der Kamera zu erkunden. Wir sprachen mit Nachbarn, aktuellen oder ehemaligen BewohnerInnen und weiteren Menschen, denen wir dort begegneten.


1. Marzahn (Springpfuhl)

Das durch die Stadtbahn gut an das Stadtzentrum angebundene Grundstück gehört einer Genossenschaft und wurde kürzlich energetisch saniert. Der Block ist 11 Stockwerke hoch und 336 m lang.

Der genossenschaftlich betriebene Block wurde 2005 saniert und umfasst 468 Wohnungen. Die meisten MieterInnen wohnen dort seit dem Bau des Gebäudes. Nachdem ihre Kinder ausgezogen sind, leben viele MieterInnen nun allein oder zu zweit in 4- oder 5-Zimmer-Wohnungen, die nicht barrierefrei sind und sich daher nicht für Menschen im höheren Alter eignen. Vor dem Gebäude besitzt die Genossenschaft einen langen und schmalen Parkplatz, auf dem wir verschiedene Typologien für alternative Wohnkonzepte vorschlagen, die für die Bestandsmieterschaft besser geeignet sein könnten: Zwei Clusterkonzepte ermöglichen Mehrgenerationen- oder Gemeinschaftswohnen, während zwei Typen für Betreutes Wohnen (ein stationäres und ein ambulantes) die Bedürfnisse hochbetagter MieterInnen erfüllen können. Die vorgeschlagenen vier vorgelagerten Gebäude können nach Abstandsflächengesetz Höhen von 4 bis 14 Geschossen erreichen. Sie sind alle auf einer Art Parkhaus-Sockel positioniert. Obwohl auf einem Parkplatz gebaut wird, wird es danach sogar mehr Parkplätze geben als vorher. Um den Baumbestand vor Ort zu respektieren und zu erhalten, hat das Gebäude mehrere Rücksprünge, die die 225 m lange Struktur in vier Segmente unterteilen. Dabei könnten 151 neue Wohnungen entstehen.
Neben der Bebauung des vorgelagerten monofunktionalen Parkplatzes sehen wir in den ungenutzten Dachflächen eine grundsätzliche Möglichkeit, um versiegelte Flächen in höherer Dichte zu nutzen ohne dabei weiteren Boden zu beanspruchen. Für den bestehenden Block schlagen wir daher eine vertikale Erweiterung auf dem Dach vor. Diese Reihenhaustypologie mit 39 neuen Wohnungen, nutzt die vorhandenen Aufzüge, Schächte und Treppenhäuser. Im Erdgeschoss wird ein Zugang zu den vorgelagerten Grünflächen für die Hochparterrewohnungen durch eine Treppe und ein Gewächshaus ermöglicht. Um wirtschaftlich zu bauen, verwenden wir wie bei allen vorgeschlagenen Interventionen rationale Techniken wie Rastersysteme, vorgefertigte Module und Skelettbauweise aus verschiedenen Materialkompositionen.


2. Altglienicke (Kosmosviertel)

An der Grenze zu Brandenburg, in der Nähe des Flughafens BER, befindet sich das Grundstück im Besitz der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, die es vor 2 Jahren zurückgekauft hat. Insgesamt hat sie 250 Mio. € für 1800 Wohnungen in diesem Gebiet bezahlt. Die private Immobiliengesellschaft, die die Gebäude kurz nach der Wende kaufte, hat so gut wie keine Renovierungsarbeiten durchgeführt, daher sind die Häuser in einem schlechten Zustand, aber voll vermietet. Eine Renovierung ist dringend erforderlich, um die Wohnungen zu erhalten.

Für uns ist ein wichtiger Teil der Transformation die Einbeziehung der bestehenden Mieterschaft und ihrer Bedürfnisse. Da es in dem Gebiet an Begegnungsräumen mangelt, bieten wir in unserem Vorschlag Gemeinschaftsräume und kleine Gewerbeeinheiten an. Außerdem werden die bestehenden Wohnungen mehr private Räume erhalten, wie kleine Gärten im Erdgeschoss, größere Balkone und Wintergärten. Diese Wintergärten sind der wichtigste Aspekt unseres Sanierungskonzepts für die bestehenden Blöcke, da diese Zwischenräume die bestehende Struktur vor weiterer Korrosion schützen. Im Sommer schützen sie die Innenräume vor der heißen Sonne, während sie im Winter einen klimatischen Puffer bilden, der die Wohnungen isoliert und solare Wärmegewinne passiv generiert – eine 3-dimensionale Dämmung, die bewohnbar ist. Über die Stützen der horizontalen Erweiterung vor den beiden bestehenden Blöcken wird eine vertikale Aufstockung um bis zu 5 Geschosse auf dem Dach statisch unterstützt. Aufgrund der Abstandsflächen zu einem terrassierten Neubau, den wir im Innenhof vorschlagen, staffelt sich die Dachaufstockung an dieser Stelle herunter. Die nach Süden und Osten ausgerichteten Wintergärten sind tiefer, während die Fassade zur Nordseite hin mit einer organischen Dämmung versehen ist. Da das Grundstück recht weitläufig ist, schlagen wir eine Vielzahl von Gebäudetypologien vor, um es vorsichtig zu verdichten. Die Gebäude sind aufgeständert, damit die Parkplätze, Grünflächen und Spielplätze erhalten bleiben. Das rote Gebäude (siehe Modell) wird an eine bestehende Brandmauer angebaut, das gelbe und die kleinen dunkelblauen Typologien docken an die bestehenden Blöcke an und nutzen die vorhandenen Treppenhäuser und Aufzüge. Da alle Infrastrukturen wie Straßen, Kanalisation, Wasser, Strom und Internet bereits vorhanden sind und Dienstleistungen wie Müllentsorgung und öffentliche Verkehrsmittel bereits funktionieren, können neue Wohnungen sofort hinzugefügt werden. Die Stadt spart Geld, das sie für die Erschließung neuer Wohngebiete ausgeben würde. Es kann dadurch mehr Wohnraum geschaffen werden, ohne mehr Boden zu beanspruchen.


3. Glau OT Trebbin (Friedensstadt)

Die kleine Siedlung befindet sich in Brandenburg in der Nähe eines großen Naturschutzgebietes. Wegen seines schlechten Zustands des Gebäudes hat die EigentümerIn, die Johannische Kirche, allen MieterInnen geholfen, neue Wohnungen in der Nachbarschaft zu finden. Der Block steht nun komplett leer.

Zu DDR-Zeiten wurden in Brandenburg mehr Plattenbauwohnungen errichtet als in Berlin.
Der Block, mit dem wir gearbeitet haben, wurde in den 1970er Jahren gebaut, um Militäroffiziere unterzubringen, da das Gelände während des Kalten Krieges vom sowjetischen Militär genutzt wurde. Nach der Rückgabe des Geländes an die eigentliche Eigentümerschaft, wurde mit der Sanierung des Geländes begonnen. Die beiden benachbarten Plattenbauten sind bereits saniert worden. Der dritte und letzte dort stehende Plattenbau muss nun dringend renoviert werden, da er sonst abgerissen werden muss. Obwohl sich dieser Block in der Peripherie befindet, ist er mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie der Massenwohnungsbau in der Stadt: insbesondere mit dem Mangel an Gemeinschaftsräumen und der fehlenden Vielfalt an Wohnungstypen. In Gesprächen mit den früheren BewohnerInnen und NachbarInnen wurde der Wunsch nach alternativen Ideen für kollektives Wohnen geäußert. Unser Vorschlag sieht vor, die 36 Wohnungen in 6 Wohngemeinschaften zu gruppieren: eine Wohnung wird zum Gemeinschaftsraum, die anderen fünf sind durch das innenliegende Bestandstreppenhaus verbunden, welches durch eine Trennwand geteilt wird. Alle 6 Gemeinschaftsräume sind über einen Laubengang an der Vorderseite des Gebäudes verbunden. Außentreppen und ein Aufzug werden als neue Primärerschließung hinzugefügt. Die sechs Cluster können von verschiedenen sozialen Konstellationen bewohnt werden, wie z.B. von einer Wohngemeinschaft für SeniorInnen oder einem Mehrgenerationenkonzept. Die Nordfassade ist mit einer organischen Dämmung aus Holz und recyceltem Papier gedämmt. An der Südfassade, zusätzlich zu den vorgelagerten Laubengängen, nutzen wir die hölzerne Struktur, um das Gebäude bis zur Grundstücksgrenze zu erweitern und jeder Wohnung zusätzlichen Raum zu geben. In einigen Fällen wird der Raum mehr als verdoppelt. Anstatt die alte Struktur abzureißen, können durch Wiederverwenden und Weiterbauen des Bestands Geld und Ressourcen gespart werden: anstelle eines Abrisses des alten Blocks und Neubaus von 30 Standardwohnungen auf demselben Grundstück könnte das Geld für die Renovierung und den Ausbau der bestehenden Struktur zu 30 Villen mit überraschenden Qualitäten verwendet werden: mit weniger Material und weniger Energie, entstünde mehr privater und kollektiver Raum zur gemeinschaftlichen und individuellen Entfaltung.


Appendix
Die verschiedenen im Modell verwendeten Farben, die Vielfalt der Fassaden und die unterschiedlichen Gebäudetypologien, Baumaterialien und Erschließungssysteme, mit denen wir die Interventionen geplant haben, sollen zeigen, dass es nicht nur eine einzige mögliche Lösung gibt. Wir glauben an Vielfalt auf allen Ebenen: Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund, Vermischung verschiedener Stile, diverse Nutzungen und eine Überlagerung von Gebautem und Grünraum. In unserer Vision werden diese Eingriffe daher nicht von einem Genius loci geplant, sondern von vielen PlanerInnen, die ihre Ideen gemeinsam und mit den dort lebenden Menschen aushandeln. Wir hoffen, dass dadurch viele verschiedene Architekturen mit überraschenden Situationen, unterschiedlichen Formen und interessanten Nutzungen entstehen, die zu einer lebendigeren Urbanität beitragen und eine vitale Nachbarschaft schaffen. Wir glauben, dass diese qualitätvollen Räume durch eine einfache Konstruktion, eine effiziente Planung und die Wiederverwendung bestehender (Infra-)Strukturen für alle erschwinglich sein können.

Beschreibung der Besonderheiten

Eine Besonderheit der Arbeit ist, dass Plattenbauten an 3 Orten mit 3 verschiedenen Trägerschaften und Bausubstanzen in 3 verschiedenen Zuständen gegenübergestellt werden. Dabei werden alle 3 Orte im Sinne der Nachhaltigkeit (sozial, ökonomisch, ökologisch) entwickelt.
 
Soziale Nachhaltigkeit heißt hierbei, dass etwa neue Wohnkonzepte für eine alternde Bewohnerschaft, sowie gemeinschaftliche Wohntypologien für alternative Formen des Zusammenlebens angeboten werden. Außerdem werden die Interessen bestehender MieterInnen bei der Transformation durch eine Verbesserung der Wohnqualität des Bestands und die Implementierung gemeinschaftlich nutzbarer Angebote berücksichtigt.
 
Ökonomische Nachhaltigkeit im Umgang mit Bestand bedeutet u.a. den Lebenszyklus der renovierungsbedürftigen Gebäude zu verlängern und die Kosten für Abriss und Neubau einzusparen. Zusätzlich können durch Nachverdichtung der bestehenden Grundstücke bereits vorhandene Infrastrukturen genutzt und neuer Wohnraum geschaffen werden ohne neue Wohnareale infrastrukturell erschließen zu müssen. Außerdem werden möglichst rationale Planungsmethoden und einfache, effiziente Konstruktionsweisen verwandt.
 
Ökologische Nachhaltigkeit wird vor allem durch eine Ausnutzung der räumlichen Potentiale bereits bebauter Flächen durch Nachverdichtung erreicht. Dadurch muss kein weiterer Boden versiegelt werden. Zudem werden statt herkömmlicher WDVS Dämmung ökologische Dämmstoffe und klimatische Pufferzonen zur Reduzierung des Energiebedarfs und zirkuläre (rückbaubare) Konstruktionsmethoden verwandt.

Das Projekt ist im Zuge unserer Master-Thesis an der Universität der Künste im WS 2021/2022 unter Betreuung von Prof. Dr. Susanne Hauser, Prof. Jean-Philippe Vassal und Prof. Verena von Beckerath entstanden. Durch Kooperation mit der Stadt und Land Wohnungsbaugesellschaft, der Horizont Wohnungsgenossenschaft und der Gemeinde Friedensstadt konnten wir uns an jedem der drei Orte eine Woche aufhalten und die Gebäude von innen analysieren und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen.
 

Objektdetails

Gebäudespezifische Merkmale

Anzahl Wohneinheiten

387

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