Nominiert für die Shortlist der Jury 2023 - Nachwuchsarbeiten

Architekturobjekte

Nominiert für die Shortlist der Jury 2023 - Nachwuchsarbeiten


Über Bibliotheken. Vorschlag für die Weiterentwicklung der Typologie zum Gemeinschaftsort am Beispiel eines Bestandsumbaus.

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Karlsruher Institut für Technologie, Architektur, Alisa Gezeck

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Karlsruher Institut für Technologie, Architektur, Alisa Gezeck

Basisdaten zum Objekt

Lage des Objektes

Deutschland

Objektkategorie

Objektart

Art der Baumaßnahme

Entwurfskonzept

Fertigstellungstermin

10.2022

Zeichnungen und Unterlagen

Gebäudedaten

Bauweise

Holzhybridbau

Tragwerkskonstruktion

Stahlbeton

Anzahl der Vollgeschosse

3- bis 5-geschossig

Raummaße und Flächen

Bruttogrundfläche

18.000 m²

Beschreibung

Objektbeschreibung

Analyse
Die Großwohnsiedlung Pfingstweide im Norden von Ludwigshafen entstand in den 1960ern als Trabantenstadt, als Reaktion auf die akute Wohnungsnot. Hauptsächlich lebten und leben dort Arbeiter für die BASF. Geplant wurde die Siedlung von dem Büro von Albert Speer jr. aus Frankfurt. Als sich die sozialen Strukturen im Quartier jedoch immer mehr verschlechterten, bezeichnete er das Projekt rückwirkend als Fehler.
Da durch die städtebauliche Struktur und die Verteilung der Wohnung durch die BASF grundsätzlich die soziale Durchmischung angestrebt wurde, leben in Pfingstweide heute alle Gesellschaftsschichten und Menschen aus etwa 25 Nationen. Einen großen Teil der Einwohnerschaft stellen türkischstämmige, die in Pfingstweide aufgewachsen und entweder noch dort leben oder zurückgekommen sind und die Einwohner, die seit Bau der Siedlung in Pfingstweide leben, dar. Die tatsächlich stattfindende Durchmischung dieser sozialen Gruppen ist jedoch sehr eingeschränkt. Die einzigen öffentlichen Räume, die  von allen gut genutzt werden, sind die vielen Spielplätze.
Es konnten vier Typologiearten ausgemacht werden, die in Pfingstweide zu finden sind, wobei sich die Historie des Ortes deutlich abbildet. Im Inneren sind große Mehrfamilienhäuser, die aus einzelnen L-Formen zusammengesetzt sind, zu finden. Sie bilden die höchsten Gebäude aus und tragen durch ihre eigenen Versprünge in der Gebäudehöhe zur Höhenstaffelung bei. Des Weiteren gibt es hufeisenförmige Gebäude, die oft zusammen mit der vorherigen Typologie polygonartige Innenhöfe ausbilden. In den Randgebieten des Quartiers finden sich zwei Arten niedriger Gebäude: neben eingeschossigen Bungalows, die als Zeilen ausformuliert sind, gibt es freistehende Gebäude, die ebenfalls ein- bis zweigeschossig sind und sowohl mit Flach- als auch mit Satteldach vorkommen. Ergänzt wird das typologische Ensemble durch Punkthochhäuser, die vier bis fünf Geschosse umfassen. Durch die geschickte Führung der Straßen und Anordnung der Gebäudevolumen entsteht eine Art Inselgefühl, wenn man sich durch bestimmte Bereiche bewegt.
Da die meisten Gebäude durch ihre Volumetrie Innenhöfe erzeugen, ergibt sich hier eine zweite Raumwirkung, die mit der ersten überlagert wird. Diese sehr spezielle Abfolge von Innenhöfen prägt den Raum und führt im folgenden zu wichtigen Wegbeziehungen.
Das Fußgängernetz, dass sich durch die Innenhöfe zieht, sorgt zusammen mit den entstehenden Blickachsen, dass sich nicht über größere Distanzen durch Pfingstweide bewegt werden kann, ohne das Einkaufszentrum im inneren Kern des Quartiers zu durchqueren.
Es stellt den einzigen Schnittpunkt aller Wege dar und bildet den wichtigsten sozialen Pol in Pfingstweide.
Sowohl der private motorisierte Verkehr, als auch die Busse des ÖPNV und der Lieferverkehr nutzen die beiden großen Ringstraßen, die am Zentrum miteinander verbunden und im Süden über eine Bundesstraße an die A61 angeschlossen sind. Die großen autofreien Bereiche ermöglichen ein Fußgängernetz, über das die Einwohner sich ungestört durch Pfingstweide bewegen können. Vor allem für Kinder und Senioren ist dieses Netz, dass durch die Brücken ergänzt wird und das Einkaufszentrum als Teil des Weges als Durchgangsraum miteinbezieht, von Vorteil.

Die Ausgangslage
Ludwigshafen ist als Industriestandort sehr gut angebunden. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts siedelte sich der Chemiegigant BASF und zukünftig größter Wirtschaftstreiber der Region in der Stadt an. Mit wachsenden Mitarbeiterzahlen beschloss der Betrieb eigene Siedlungen für seine Mitarbeitenden zu bauen. Pfingstweide im Norden der Stadt und direkt westlich des Geländes der BASF ist als solche Siedlung Ende der 1960er entstanden. Um die soziale Durchmischung zu fördern, steigt die Dichte und Höhe der baulichen Strukturen zur Mitte hin an, sodass sich hier große Wohnblöcke mit Wohnungen befinden. Der äußere Ring wird von niedrigen Bungalowstrukturen gebildet. Die verkehrliche Erschließung des Quartiers erfolgt über zwei große Ringstraßen, die im Zentrum von Pfingstweide verbunden sind. Das Zentrum ist geprägt von den wichtigsten Nahversorgungsstrukturen, die vor allem zu Beginn der 1970er einem zweigeschossigen Einkaufszentrum Platz fanden. Durch den Bau eines externen Supermarkts und der Ansiedelung verschiedener Versorgungsnutzungen am Vorplatz des ursprünglichen Einkaufszentrums, steht das Gebäude zunehmend leer, obwohl seine baulichen Strukturen architektonisch und städtebaulich großes Potenzial haben. Dieses Einkaufszentrum wird als Entwurfsgrundstück gewählt.

Der Bestand
Das obere der beiden Geschosse wird über Fußgängerbrücken, die direkt in das Gebäude führen, an das gut ausgebaute Fußgängernetz der Umgebung angeschlossen und liegt nicht nur als Versorgungs- sondern auch als Bewegungsknoten an zentraler Stelle im Quartier. Das Einkaufszentrum geht im Obergeschoss fließend in den davor liegenden Stadtplatz über und bildet im Erdgeschoss eine klare Kante zur Straßenseite aus. Die Bausubstanz ist bis auf das ursprüngliche Tragwerk aus Stahlbetonfertigteilen stark beschädigt und nicht zu erhalten. Die schmalen Fenster ermöglichen keine ausreichende Belichtung des Innenraums und die Fassade zum Platz wird durch neu angesetzte Strukturen verdunkelt. Die Grundform des Bestandes sieht Terrassen vor, an denen die Fußgängerbrücken anschließen, und die in einen eng wirkenden Innenraum übergehen.

Beschreibung der Besonderheiten

Die Neustrukturierung
Um die Potenziale dieses Bestandsgebäudes zu nutzen und gleichzeitig das Quartier sozial zu stärken, wurde das Gebäude zu einem typologisch neuartigen Gemeinschafts- und Medienzentrum umstrukturiert. Das neue Raumprogramm sieht eine Mediathek, einen Kultur- und Gastronomiebereich mit Galerie und Auditorium, einen Co-Working Space, einen Bewegungsblock mit Fitnessstudio und Boulderhalle, sowie eine Markthalle und verschiedenen Werkstätten vor. Diese Nutzungsmischung stellt die architektonische Umsetzung der Ansprüche verschiedener Nutzergruppen aus Pfingstweide dar und integriert die Mediathek in großer Selbstverständlichkeit in den Alltag der Besucher. Somit kann die Typologie Bibliothek ihr Potenzial als demokratischer, sozialer, lehrender und nachhaltiger Ort voll entfalten. Das ursprüngliche Volumen des Bestandes wurde vervollständigt, sodass mehr Klarheit entsteht. Um den Stadtraum der Umgebung in das Gebäude einzubeziehen, die Attraktivität des Neubaus zu erhöhen und die wuchtige Wirkung des Bestandes zu verringern, wurde eine neue Topografie eingefügt, die das Erdgeschoss an drei Seiten umschließt und nach außen bis auf Straßenniveau abfällt. Nach oben hin löst sich das Gebäude in vier neuen Volumen auf, die jeweils eine der Funktionen nach außen hin durch die Färbung der Holzfassade zeigen. Um die Struktur architektonisch abzuschließen, wurde das obere Geschoss mit einer Stahlstruktur, die außerdem die Holzaufbauten trägt, versehen. Diese Stahlstruktur ist an der Außenseite mit einem transluzent wirkenden Kufferathgewebe verkleidet und sorgt so für ein Spannungsmoment zwischen Innen und Außen, das den Betrachter neugierig macht.

Die Atmosphäre
Die Innenräume sind von unterschiedlichen Atmosphären, die durch die architektonische Struktur entsteht, geprägt. Im Erdgeschoss, das optisch hinter der neuen Landschaft verschwindet, befindet sich eine Markthalle, die sich nach innen orientiert und somit den Besucher automatisch nach Betrachtung der Stände lenkt. Das wichtigste Erschließungselement stellt hierbei ein System von Rolltreppen, die durch große Einschnitte im Gebäude geführt werden, dar. Ergänzt werden sie durch verschiedene Wendeltreppen auf allen Geschossen. Wenn der Besucher von der Markthalle über eine der Rolltreppen nach oben fährt, befindet er sich in der großen Bewegungsachse, die an die Fußgängerbrücken der Umgebung angeschlossen und von verschiedenen Kommunikations- und Bewegungselementen geprägt ist. Die verschiedenen Funktionsbereiche sind über unterschiedlich gestaltete Übergangszonen zugänglich. Vor der Mediathek befinden sich in diesem Bereich die Servicetheke, Neuerscheinungen und eine Leselounge mit individuellen Sitzmöbeln. Diese Zone dient dem Abbau von Hemmschwellen und erleichtert den Zugang zu den Medienbereichen. Die Galerie oder das Restaurant sind dagegen direkt an die Durchwegung angeschlossen und zu ihr öffenbar. Im darüberliegenden Geschoss befindet sich der Besucher auf dem Dach des Bestandes und bewegt sich frei zwischen den neu aufgestellten farbigen Holzaufbauten und deren Funktionen. Auch die Freiflächen um die neuen Blöcke sind entsprechend des jeweiligen funktionalen Schwerpunkts gestaltet. Im Bereich Kultur und Gastronomie befindet sich hier beispielsweise ein Gemeinschaftsgarten. Ganz andere räumliche Eindrücke hält das dritte Obergeschoss bereit, das vom Raumfachwerk als Stahlträgern geprägt ist. Hier kann sich der Besucher auf Stegen zwischen den abgeschlossenen Holzaufbauten bewegen. Durch den Blickkontakt zum darunterliegenden Geschoss und dem Gewebe an der Außenseite des Raumtragwerks entstehen neuartige und interessante Bezüge und Kommunikationswege zwischen den Ebenen.

Theoretische Grundlage
Was braucht die Bibliothek der Zukunft? Welche Funktion hat sie? Die Probleme sind offensichtlich: der Verlust von Lesern, die neue Art zu lernen und die Hyperkonnektivität betreffen Bibliotheken und Buchhandel gleichermaßen. Soziale Probleme wie eine veränderte Art mit Wissen und Kommunikation umzugehen, Filter-Bubbles und Fake-News schließen sich an. Die Bibliothek kann als Einrichtung hier gegensteuern und die Gesellschaft der Zukunft positiv beeinflussen, in dem sie ihr heute schon einen Ort gibt.
Bibliotheken können dabei helfen, die Gemeinschaft in der physischen Welt zu stärken. Sie sind demokratische Räume, die Teilhabe an der Gesellschaft über Zugang zu geprüftem Wissen und Bildung, um dieses Wissen interpretieren und anwenden zu können, bereitstellen. Sie sind dritte Orte, die neben Wohn- und Arbeitsorten Raum für Gemeinschaft bieten, in dem zwanglose Gespräche und beschwerte Stimmung und persönliche Aneignung der räumlichen Situation vorherrschen.
Bibliotheken können dabei helfen den Gefahren der Digitalisierung zu begegnen, in dem sie den Nutzer beim Aufbau von Medien- und Lesekompetenzen unterstützen. Erst wenn die Informationsflut richtig eingeordnet werden kann, kann das Internet zu der großartigen Vernetzungs- und Informationsquelle werden, die sich die Pioniere gewünscht haben. Dafür muss der Nutzer jedoch Falschmeldungen erkennen, die eigene Aufmerksamkeit steuern und Suchmaschinen bedienen können. Bibliotheken setzen hier vermehrt auf Media Labs und die Integration von Forschung in ihre Abläufe. 
Die Digitalisierung birgt grundsätzlich großes Potenzial, auch für die Einrichtung Bibliotheken; doch die Umstellung auf die neue Situation erfolgt nicht automatisch. Die Techniken zu nutzen kann zu großen Vorteilen und Entwicklungssprüngen (z.B. neue Katalogsystem und die Verknüpfung von Forschungsinhalten über Datenbanken genauso wie die Einbettung in große soziale Systeme) führen, birgt aber - wie jede neue Entwicklung - auch Gefahren, mit denen umzugehen sind.
Als letztes können Bibliotheken dabei helfen nachhaltiger zu leben. Sichtbar ist das über die Bibliothek der Dinge, die die Share Economy vorantreibt, aber auch bei Gebäuden mit vorbildlicher Konstruktion und Materialwahl. Immer größere soziale Gruppen anzuziehen stärkt die Einrichtung außerdem in ihrer demokratischen Funktion. Diese letzten Punkte betreffen nicht nur Bibliotheken, sondern die gesamte Architektur und Gesellschaft. Anhand von Bibliotheken können Architekten, Gemeinden und Nutzer lernen und entwickeln, welche Systeme am besten funktionieren und auf welche Weise welche Methoden am besten eingesetzt werden können. Bibliotheken haben das Potenzial die Gesellschaft positiv zu beeinflussen. 

Auszeichnungen

WA Förderpreis Masterarbeit

Schlagworte

Bibliothek, Holzbau, Stahlbetonbau, Sport, Kultur, Arbeiten, Ludwigshafen, Bildung, Gemeinschaft

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