Architekturobjekt 20 von 693
Nominiert für die Shortlist der Jury 2024 - Nachwuchsarbeiten

Architekturobjekte

Nominiert für die Shortlist der Jury 2024 - Nachwuchsarbeiten


Wasseranziehend werden. Vorschlag für ein hygroskopisches Design.

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Akademie der bildenden Künste Stuttgart, Architektur, Michelle Semder

Diese Objektpräsentation wurde angelegt von: Akademie der bildenden Künste Stuttgart, Architektur, Michelle Semder

Basisdaten zum Objekt

Lage des Objektes

Deutschland

Objektkategorie

Objektart

Art der Baumaßnahme

Entwurfskonzept

Fertigstellungstermin

07.2023

Gebäudedaten

Bauweise

Lehmbau

Tragwerkskonstruktion

Sonstige

Anzahl der Vollgeschosse

6- bis 10-geschossig

Beschreibung

Objektbeschreibung

Die Arbeit „Wasseranziehend werden.“ befasst sich mit dem Potenzial der Wiederverwendung von porösem Erdaushub für die Umsetzung passiver Kühlelemente im städtischen Kontext. Hierbei wird konkret am Beispiel Auelehm, welcher als Aushub durch den Bau von Hochwasserrückhaltebecken anfällt, geforscht und eine Kühlturmarchitektur entwickelt. Die inhärenten Materialeigenschaften des Auelehms, der Prozess der Verdunstungskühlung und der Effekt eines Kamins bilden die Prinzipien des Konzepts. Formuliert als Turm, der warme Lufttemperaturen auf passive Weise herunterkühlt, kann dieser als s. g.  „Cool Spot“ eine mikroklimatische Antwort auf die zunehmenden Hitzeperioden sein. Das Projekt gliedert sich in drei Phasen. Durch interdisziplinäre Forschung sind zwei Entwürfe im städtischen Kontext entstanden, welche die Einsatzmöglichkeiten eines Kühlturms in Verbindung mit einem Gebäude und als freistehende Struktur aufzeigen.

Prolog:
Die Entwicklung der Klimakrise und die resultierende Verschiebung der Klimazonen sind globale Phänomene, die sich unter anderem in Veränderungen des Niederschlagsmusters, Überhitzung und Überschwemmungen manifestieren. In diesem Zusammenhang stößt unser gegenwärtiges Wassermanagement an seine Grenzen. Regen, der auf versiegelte Flächen trifft, wird direkt in die Kanalisation geführt und begradigte Flüsse treten aufgrund der auftretenden Wassermassen über. Eine Lösung, die als Effektivste Anwendung findet, besteht in der Errichtung von Hochwasserrückhal- tebecken unmittelbar entlang von Flussläufen. Was dabei anfällt, sind Massen an Bodenaushub, der Erde Auelehm.

Bodenaushub als Baumaterial:
Wie man dem Namen entnehmen kann, handelt es sich um ein Material, welches in ebenen Uferlandschaften von fließendem Gewässer zu finden ist. Durch das Ab- und Antragen des Flusses lagern sich Sedimente ab – Schwebepartikel im Fluss, wie Sand, Kies und Ton. Bei aktuellen Bauvorhaben in Baden-Württemberg bspw. wird der Aushub nicht weiter verwendet und deponiert – die Gründe hierfür können vielfältig sein, wodurch die Relevanz für die Verwendung von diesem deklarierten Abfallprodukt unterstreicht wird. Vor dem Hintergrund, dass Erde den größten Anteil an „Abfallmaterial“ in unserer westlichen Gesellschaft – Baubranche ausmacht, da der Aushub von Baustellen ein Vielfaches unseres gesamten Siedlungsabfalls bildet und es bis heute nicht gelungen ist, diese Erde dem Bausektor wieder sinnvoll zuzuführen, gewinnt in der zeitgenössischen Architekturproduktion das Bauen mit Lehm wieder an Bedeutung. Neben dem ästhetischen und räumlichen Potential des Materials steht der Wunsch nach Wertschöpfung durch Verwendung lokaler Baumaterialien und einer wiederauflebenden Wertschätzung des Handwerks im Fokus eines ressourcenscho- nenden, zukunftsfähigen Bauens.

Konzept:
Es ist uns ein besonderes Anliegen, Konzepte aus einem materialgerechten Umgang heraus zu entwickeln, indem die spezifischen Eigenschaften des Materials maßgeblich bei der Entwicklung, Prinzipien und Gestaltung Einfluss nehmen. Nach intensiver Analyse und Forschung konnten wir die Potenziale des Auelehms herausarbeiten und das Konzept eines Kühlturms, der im städtischen Kontext zu einer Verbesserung des Mikroklimas beiträgt, entwickelt. Hierbei haben wir einen inversen Kamin bzw. Turm aus Auelehm entworfen, dessen Konstruktion auf einer Hybridbauweise beruht. Dabei dient das Material als Speichermasse von Niederschlagswasser, durch welches im Turminneren der Prozess der Verdunstung hervorgerufen wird. Die warme hereinströmende Luft wird durch diese Evaporation gekühlt und im Sockelbereich in den Stadtraum hinausgeführt. Es entstehen sogenannte „cool spots“ im öffentlichen Raum. In unsere Masterarbeit haben wir weitere Entwurfselemente definiert und Parameter herausgearbeitet, die eine Verortung im städtischen Raum am Beispiel Stuttgart rechtfertigten. Exemplarisch anhand zweier Standorte haben wir Entwürfe dekliniert. Die Intervention am Diakonissenplatz kombinierte die Turmstruktur mit einem Wohnbau aus Stampflehm. Am Marktplatz positionierten wir einen Kühlsatelliten, der durch eine Verschattung komplimentiert wurde.

1. Architektur „Am Diakonissenplatz“ Wohnbau + Kühlturm:
Eine essenzielle Komponente für die Funktionsweise des Kühlturms ist u. a. ein Wasserspeicher – der ihn speist, den wir in Stuttgart in Form von Bunkerstrukturen benennen konnten. Einer dieser Orte ist der Diakonissenplatz mit einem darunterliegenden Bunker im westlichen Innenstadtbezirk, der jahrelang als Verkehrsübungsplatz genutzt wurde und dazu einlud, die Idee des „cool spots“ mit einem Wohnbau zu kombinieren. Diese Architektur fügt sich als Stadtbaustein in die urbane Struktur ein und schirmt einen öffentlichen Platz zur Straße hin ab. Der Platz neigt sich zur Architektur und den drei Türmen hin, wodurch ein Tiefhof entsteht, der als Reservoir für die aus zwei Türmen strömende, abgekühlte Luft dient. Bäume spenden Schatten und verlangsamen das Erwärmen der kühlen Luft. Der dritte Turm, der nicht zum Tiefhof orientiert ist, dient saisonal der Heizung oder Abluft des Wohnbaus. Die Türme und die Architektur sind in einer Lehm-Stahl-Hybridbauweise gefertigt, die die gegensätzlichen Materialeigenschaften von Lehm und Stahl wie Masse, Speicherfähigkeit, Brandwiderstand sowie Druck- und Zugkraft kombiniert. Gegründet auf der vorhandenen Bunkerstruktur, sind aufwändige Tiefbauarbeiten überflüssig. Die Gebäudestruktur ist als vorfabrizierter Lehmschottenbau mit rezyklierten Spundwandprofildecken konzipiert. Die Stampflehmwände werden mittels vertikaler Stahlseile vorgespannt, was eine schlankere und höhere Bauweise durch eine verbesserte horizontale Schubübertragung ermöglicht. Die Spundwandprofile in den Decken werden auf ihrer Oberseite mit Stampflehm gefüllt, was den Brandwiderstand und die bauphysikalischen Eigenschaften verbessert. Aufgrund der hohen Speichermasse des massiven Lehmbaus werden Heizschlaufen zur trägen Wärmeabgabe in die Stampflehmdecken eingelassen. Die Wärmeerzeugung erfolgt mehrheitlich durch Solarenergie auf dem Dach, deren Ertrag in einem Eisspeicher in den Bunkerräumen gespeichert wird.

2. Satellit „Am Marktplatz“ Verschattung + Kühlturm: Der zentrale Marktplatz neigt aufgrund der hohen Versiegelung und des Mangels an Verschattung bereits früh im Jahr zur Überhitzung. Trotz der Umgestaltung im Jahr 2022 wurden wichtige Vorschläge wie die Vermehrung des Baumbestands und die Nutzung des darunterliegenden Bunkers als Energiespeicher oder Hochwasserschutz zugunsten saisonaler kommerzieller Veranstaltungen verworfen. Doch gerade der laufende Marktbetrieb sowie die Bedeutung als Knotenpunkt bedürfen einer Intervention, weshalb wir hier ein Lehmsatellit (Kühlturm) mit Verschattung vorgesehen haben. Der Kühlturm trägt zur Verbesserung des klimatischen Komforts bei und ermöglicht eine ganzjährige Nutzung des Platzes. Der Turm imitiert die vorhandene Situation des Marktbrunnens am Platzrand und skaliert dessen Effekt. Die ausströmende, kalte Luft wird hauptsächlich von den Nordwestfassaden des Platzes erfasst und kühlt die vorbeigehenden Passierenden. Im Gegensatz zum Diakonissenplatz kann der Turmkörper hier betreten, und der Kältesog im Inneren erlebt werden. Ein umlaufender Sockel dient als Erosionsschutz und bietet Sitzmöglichkeiten zum Verweilen. Wie am Diakonissenplatz wird auch hier auf der darunterliegenden Bunkerstruktur gegründet und durch einen dort gelagerten Wasserspeicher gespeist. Angesichts des Mangels an natürlicher Verschattung und des Anspruchs auf eine flexible Nutzung der Fläche haben wir eine textile Verschattung entwickelt, die auf den Erkenntnissen aktueller Forschung (U°CA) beruht. Diese überspannt den gesamten Bereich des Marktbetriebs und wird von einem umlaufenden räumlichen Tragwerk getragen. Auf zwei Ebenen und in gegenläufiger Richtung hängen Textilsegel von horizontal gespannten Stahlseilen herab. Die Höhe der Textilien ist so gewählt, dass im Hochsommer keine direkte Sonneneinstrahlung auf den Platz trifft. Gleichzeitig bleibt der Blick in den Himmel frei, und ein Abkühlen der Oberflächen in der Nacht ist gewährleistet.

Nachhaltigkeit

siehe Entwurfstext: Bodenaushub als Baumaterial & 1. Architektur und Kühlturm

Auszeichnungen

Akademiepreis der bildenden Künste Stuttgart

Landesgraduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg

Schlagworte

Lehmbau, cradle to cradle, freie Masterarbeit

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